Die Botschaft des Feuers
Stadt Kufa war jahrhundertelang nach dem Tod des Propheten eine Brutstätte des Aufruhrs und der Rebellion gegen die beiden sunnitischen Dynastien, die inzwischen einen Großteil der Erde erobert hatten.
Obwohl die Kalifen der nahe gelegenen Stadt Bagdad ebenfalls Sunniten waren, widmete al-Dschabir seine mystische alchemistische Abhandlung Das Buch der Balance offen und furchtlos - manche behaupten, törichterweise - seinem berühmten Lehrer, dem sechsten Imam, Dschafar al-Sadiq. Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter! In der Widmung des Buchs schrieb er, er sei nur ein Sprachrohr für al-Sadiqs Weisheit, und erklärte, sein Murschid habe ihn die ta’wil , die Kunst der allegorischen Textauslegung, gelehrt, die
nötig sei, um die verborgenen Botschaften des Korans zu verstehen.
Allein dieses Geständnis hätte in den Augen der damaligen Orthodoxen gereicht, um al-Dschabir zu vernichten. Aber zehn Jahre später, Anno Domini 765, geschah etwas noch Gefährlicheres: Der sechste Imam, Dschafar al-Sadiq, starb. Da er ein berühmter Wissenschaftler war, wurde al-Dschabir als königlicher Alchemist an den Hof von Bagdad bestellt - zuerst unter dem Kalifen al-Mansur, dann unter dessen Nachfolgern al-Mahdi und Harun al-Raschid, der durch seine Rolle in den Märchen aus tausendundeiner Nacht berühmt geworden ist.
Es war bekannt, dass in dem orthodox-sunnitischen Kalifat alle Texte konfisziert und vernichtet wurden, die auch nur im Geringsten den Schluss nahelegten, dass noch eine andere Interpretation der Gesetze möglich sein könnte - dass eine weitere, mystische Deutung oder Interpretation der Aussprüche des Propheten oder des Korans existieren könnte.
Als Gelehrter und Sufi lebte al-Dschabir ibn Hayyan seit seiner Ankunft in Bagdad in der Angst, dass sein geheimes Wissen nach seinem Tod untergehen würde, wenn er es nicht mehr schützen konnte. Fieberhaft suchte er nach einer dauerhaften Lösung, nach einer sicheren Möglichkeit, die uralte Weisheit in einer Form weiterzugeben, die weder von Uneingeweihten entziffert noch leicht zerstört werden konnte.
Schon bald bot sich dem berühmten Gelehrten eine unerwartete und verblüffende Gelegenheit.
Der Kalif al-Mansur hatte eine Lieblingsbeschäftigung, etwas, das während der islamischen Eroberungen ein Jahrhundert zuvor aus Persien in die arabische Welt gelangt war: das Schachspiel.
Al-Mansur beauftragte al-Dschabir, ein Schachspiel aus einzigartigen Metallen und Legierungen anzufertigen, die nur
mithilfe der Alchemie hergestellt werden konnten, und die Figuren und das Brett mit Symbolen und Steinen zu versehen, die nur für jene, die mit dieser geheimen Wissenschaft vertraut waren, verständlich sein würden.
Der Auftrag war für al-Dschabir wie ein Geschenk des Erzengels Gabriel persönlich, verschaffte er ihm doch die Möglichkeit, das uralte, verbotene Wissen weiterzugeben - unmittelbar vor den wachsamen Augen des Kalifats.
Zehn Jahre lang arbeiteten Hunderte von Künstlern an dem Schachspiel, das im Jahr 158 - beziehungsweise 775 - beim Fest von Bairam dem Kalifen überreicht wurde - zehn Jahre nach dem Tod des sechsten Imam, Dschafar al-Sadiq, der sein Wissen an al-Dschabir weitergegeben hatte.
Das Schachspiel war von ungeheurer Pracht: Das Brett maß einen Meter an jeder Seite, die Quadrate bestanden aus reinem Gold und Silber, und die Figuren waren mit kostbaren Edelsteinen besetzt, einige davon so groß wie Wachteleier. Das großartige Kunstwerk versetzte alle am Hof der Abbasiden-Dynastie in Bagdad in Erstaunen, und niemand ahnte, dass der Hofalchemist ein großes Geheimnis in verschlüsselter Form in das Spiel eingearbeitet hatte - ein Geheimnis, das bis heute unentdeckt geblieben ist.
Unter anderem hatte al-Dschabir die heiligen Zahlen Zweiunddreißig und Achtundzwanzig in dem Schachspiel versteckt.
Die Zweiunddreißig symbolisiert die Anzahl der Buchstaben des persischen Alphabets, Codes, die al-Dschabir in die zweiunddreißig silbernen und goldenen Figuren eingraviert hatte. Die Achtundzwanzig, die Anzahl der Buchstaben des arabischen Alphabets, war durch eingravierte Codes in den achtundzwanzig Quadraten symbolisiert, die den Rand des Schachbretts bildeten. Dies waren zwei von zahlreichen Schlüsseln,
die der Vater der Alchemie für Eingeweihte in zukünftigen Jahrhunderten in das Schachspiel einarbeitete. Und jeder Schlüssel führte wiederum zu einem weiteren Bestandteil des großen Geheimnisses.
Al-Dschabir hat seinem Meisterwerk
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