Die Botschaft des Feuers
Mutter und mir. Also, was war los mit mir? Warum witterte ich jedes Mal drohendes Unheil, wenn ich herkam? Natürlich wusste ich genau, warum. Und meine Mutter wusste es ebenfalls. Wir sprachen nie über das Thema, aber als ich endgültig ausgezogen war, hatte sie Verständnis gezeigt und im Gegensatz zu anderen Müttern nie darauf bestanden, dass ich sie besuchen kam.
Bis heute.
Allerdings hatte sie mich nicht freundlich zu sich eingeladen, sondern mich eher herzitiert, mit einer kryptischen Nachricht, die sie auf meinem Anrufbeantworter in Washington hinterlassen hatte, als ich in der Arbeit war, wie sie sehr wohl wusste.
Sie wolle mich zu ihrer Geburtstagsparty einladen, hatte sie gesagt, und genau das war ein entscheidender Teil des Problems.
Meine Mutter feierte ihren Geburtstag nicht, das hatte sie noch nie getan.
Nicht dass sie sich gegen das Älterwerden sträubte oder ihr Alter zu verschweigen trachtete - sie wirkte sowieso von Jahr zu Jahr jünger.
Nein, seltsamerweise wollte sie nicht, dass irgendjemand außerhalb der Familie ihr Geburtsdatum erfuhr.
Diese Geheimniskrämerei und einige weitere Eigenarten - wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie in vollkommener Isolation hier oben wohnte, und zwar seit zehn Jahren, seit … dem Ereignis, über das wir nicht sprachen - erklärten, warum einige Leute meine Mutter, Katherine Velis, für ziemlich kauzig hielten.
Der andere Teil meines derzeitigen Problems bestand darin, dass es mir nicht gelungen war, meine Mutter zu erreichen, um sie um eine Erklärung für ihre plötzliche Einladung zu bitten. Sie war weder ans Telefon gegangen noch hatte sie auf die Nachrichten reagiert, die ich auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Die zweite Nummer, die sie mir gegeben hatte, stimmte offenbar nicht - es fehlten ein paar Ziffern am Ende.
Als mir zum ersten Mal schwante, dass irgendetwas an der ganzen Sache faul war, hatte ich mir ein paar Tage Urlaub genommen, mir halb durchgedreht ein Ticket für den letzten Flug nach Cortez, Colorado, gekauft und mir am Flughafen das letzte Fahrzeug mit Allradantrieb gemietet, das noch zu haben war.
Ich ließ den Motor laufen, während ich noch einen Moment im Wagen sitzen blieb und den atemberaubenden Ausblick
genoss. Seit vier Jahren war ich nicht mehr zu Hause gewesen. Und jedes Mal, wenn ich dieses Panorama wiedersah, war ich von Neuem überwältigt.
Ohne den Motor auszuschalten, stieg ich aus und versank knietief im Schnee.
Von hier oben auf dem Berg, hoch über dem Colorado Plateau, blickte ich über das wogende Meer aus hohen Gipfeln, die im Morgenlicht rötlich schimmerten. An klaren Tagen wie diesem konnte ich bis zum Mount Hesperus sehen, den Dibé Ntsaa, wie die Diné ihn nennen: den Schwarzen Berg, einen der vier heiligen Berge, die von »Erster Mann« und »Erste Frau« erschaffen wurden.
Die vier Berge - Dibé Ntsaa im Norden, Sisnaajinii (Weißer Berg oder Mount Blanca) im Osten, Tsoodzil (Blauer Berg oder Mount Taylor) im Süden und Dook’o’osliid (Gelber Berg oder San Francisco Peaks) im Westen - bilden die vier Eckpunkte des Dinétah, der »Heimat der Diné«, wie die Navajos sich selbst nennen.
Und sie zeigen auf das Hochplateau, auf dem ich stand: »Four Corners« ist der einzige Ort in den USA, wo die Grenzen von vier Bundesstaaten - Colorado, Utah, New Mexico und Arizona - kreuzförmig aufeinandertreffen.
Lange bevor es die Kartografie gab, galt dieses Land allen, die hier lebten, als heilig. Wenn meine Mutter in den zweiundzwanzig Jahren, die ich sie kannte, ihre allererste Geburtstagsparty gab, dann konnte ich verstehen, warum sie das ausgerechnet hier tun wollte. Egal, wie viele Jahre sie im Ausland oder an anderen Orten der USA verbracht hatte, war sie, wie alle Frauen unserer Familie, ein Teil dieses Landes.
Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass die Verbindung zum Land eine wichtige Rolle spielte und dass sie mir deshalb
diese seltsame Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen haben musste, die mich hierhergeführt hatte.
Und ich wusste noch etwas, auch wenn niemand anders es wusste: Der heutige Tag, der 4. April, war tatsächlich der Geburtstag von Kat Velis, meiner Mutter.
Ich zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, schnappte mir meine hastig gepackte Reisetasche vom Beifahrersitz und stapfte durch den tiefen Schnee zu unserer hundert Jahre alten Haustür. Die beiden in die drei Meter hohen Türflügel aus massiver Kiefer geschnitzten Basreliefs stellten zwei Tiere dar,
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