Die Botschaft des Feuers
einen Namen gegeben, er nannte es tarik’at - die Schlüssel zum Geheimen Weg.
Der Baba wirkte erschöpft, doch er hielt sich aufrecht und fuhr fort: »Das Schachspiel, von dem ich euch erzählt habe, existiert heute noch. Der Kalif al-Mansur begann zu ahnen, dass von dem Schachspiel eine geheimnisvolle Macht ausging, als Kriege um seinen Besitz ausbrachen - sogar innerhalb des Gerichtshofs der Abbasiden in Bagdad. Im Lauf von zwanzig Jahren wechselte das Spiel mehrmals den Besitzer - aber das ist eine andere, längere Geschichte. Das Geheimnis jedoch wurde gewahrt, denn das Schachspiel wurde vergraben - in einem Versteck, in dem es fast tausend Jahre lang verborgen blieb.
Vor dreißig Jahren jedoch, während der Französischen Revolution, tauchte das Spiel in den baskischen Pyrenäen wieder auf. Die Einzelteile wurden über die ganze Welt verteilt, und das Geheimnis wurde gelüftet. Unsere Mission, meine Kinder, besteht darin, dieses Meisterwerk der Lehre seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben, denjenigen, für die es ursprünglich angefertigt wurde und denen die Geheimnisse anvertraut werden sollten. Das Schachspiel gehört den Sufis, denn wir allein sind die Hüter der Flamme.«
Ali Pascha stand auf und half dem Baba zurück zu seinem Platz auf den Kissen.
»Der Baba hat gesprochen, aber er ist müde«, sagte er. Dann bedeutete er der kleinen Haidée und Kauri, der neben ihr saß,
aufzustehen, woraufhin die beiden vor den Baba traten und niederknieten. Nacheinander spendete der alte Mann den beiden den üfürük cülük , den Segen des Atems, indem er ihnen dreimal auf den Kopf blies.
»Zu al-Dschabirs Lebzeiten«, sagte der Baba, »nannten die Alchemisten sich selbst Bläser und Köhler, denn diese beiden geheimen Künste gehörten zu ihrem heiligen Handwerk. Von den Alchemisten stammen viele Begriffe, die wir heute noch für unsere heilige Kunst benutzen. Wir schicken euch über eine geheime Route zu Freunden in ein anderes Land - Freunde, die ebenfalls als Köhler bekannt sind. Die Zeit drängt, und wir werden euch etwas mitgeben, was Ali Pascha seit dreißig Jahren hütet …«
Er unterbrach sich, als plötzlich laute Stimmen zu hören waren, die aus den oberen, verschlossenen Räumen des Klosters kamen. General Vaya und die Soldaten stürmten zur Tür, die zur Treppe führte.
»Wie ich sehe«, sagte der Baba, »haben wir keine Zeit mehr.«
Der Pascha reichte dem Baba etwas, das er hastig aus seinem Gewand gezogen hatte und das aussah wie ein großer, schwerer Brocken Holzkohle. Der Baba reichte den Gegenstand an Haidée weiter, während er zu Kauri, seinem jungen Schüler, sprach.
»Es gibt einen unterirdischen Gang, der aus dem Gebäude hinaus und in die Nähe deines Boots führt«, sagte er. »Man wird euch vielleicht entdecken, aber da ihr noch Kinder seid, wird man euch wahrscheinlich nicht gefangen nehmen. Ihr werdet die Berge auf einer speziellen Route überqueren, bis ihr an die Küste gelangt, wo ein Schiff auf euch wartet. Dann werdet ihr unter Anweisungen, die ich euch noch geben werde, nach Norden reisen und einen Mann aufsuchen, der euch
zu den Leuten bringt, die euch beschützen werden. Der Mann kennt den Pascha seit vielen Jahren, und er wird euch vertrauen, wenn ihr ihm die geheime Losung sagt, die er allein verstehen wird.«
»Und wie lautet die Losung?«, fragte Kauri. Die Geräusche von splitterndem Holz und polternden Gegenständen wurden immer lauter, und er brannte darauf, sich möglichst bald auf den Weg zu machen.
Aber der Pascha ergriff das Wort. Er hatte Vassiliki, der Tränen in den Augen standen, einen Arm um die Schultern gelegt.
»Haidée muss dem Mann eröffnen, wer sie wirklich ist«, sagte er.
»Wer ich bin?«, fragte Haidée und schaute ihre Eltern verwirrt an.
Zum ersten Mal sprach Vassiliki jetzt, doch es war nicht zu übersehen, wie schwer es ihr fiel.
Sie nahm die Hände ihrer Tochter, die immer noch den großen Brocken Holzkohle hielten.
»Mein Kind«, sagte sie zu Haidée, »wir haben dieses Geheimnis über viele Jahre hinweg gehütet, aber jetzt ist es, wie der Baba eben erklärt hat, unsere und auch deine einzige Hoffnung.« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, und sie brachte kein Wort mehr heraus, sodass der Pascha einspringen musste.
»Was Vasia dir zu sagen versucht, mein Liebling, ist, dass ich nicht dein leiblicher Vater bin.« Als er das Entsetzen in Haidées Augen sah, fügte er hastig hinzu: »Ich habe deine Mutter geheiratet, weil
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