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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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immer stärker - bis plötzlich der Riese Welikan in einer Explosion aus Dampf hervorbarst und ihn jedes Mal erschreckte, wenn er einen mächtigen Regenbogen aus dampfendem Wasser zehn Meter hoch in die Luft spie. Und dann schossen die Geysire in der Schlucht einer nach dem anderen aus dem Boden, wie durch ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt, ergossen ihr kochendes Wasser in den schäumenden Fluss, der in Richtung Meer strebte. Dieses unablässig hämmernde, ohrenbetäubende Röhren der aus der Erde schießenden Fontänen hatte zugleich etwas merkwürdig Besänftigendes, dachte er - ein Rhythmus wie das Leben, wie der Atem der Erde.
    Aber als er jetzt über den schmalen, diagonal verlaufenden Pfad nach oben stieg, achtete er sorgsam darauf, den Spuren der Frau zu folgen, um nicht abzurutschen. Man fand nur schwer Halt auf dem stark abschüssigen, schlüpfrigen Untergrund. Zwar waren seine hochgeschnürten Mokassins für einen besseren Halt aus Bärenfell gefertigt, und die geölten Fellstreifen hielten die Füße warm, aber mittlerweile trieb Schnee durch das klare Sonnenlicht. Die gewaltigen aufsteigenden Dampfwolken ließen die Schneeflocken schmelzen, ehe sie den Boden erreichten, und verwandelten das feuchte Moos und die Flechten in eine glitschige Masse.
    Seit Monaten war er tagtäglich in den Schluchten herumgeklettert, um sich für diese Tour zu stärken. Dennoch war er für den langen Marsch, den sie heute vor sich hatten, eigentlich noch immer viel zu schwach. Sie hatten bereits sieben Kilometer durch die Schlucht der Geysire zurückgelegt, und vor ihnen lagen die Tundra und die Taiga mit ihren schlanken Birken, Krüppelfichten und -kiefern. Sie waren unterwegs in eine Terra incognita .
    Während sie die dröhnenden Geysire hinter sich ließen und immer
höher in die Berge stiegen, in die Stille einer fremden und verschneiten Welt, spürte er, wie sich die Angst seiner bemächtigte - die Angst, die einhergeht mit der Ungewissheit angesichts des Unbekannten.
    Es war töricht, so zu empfinden, das wusste er selbst, schließlich war für ihn alles Teil der Leere, dieses größeren Unbekannten. Er hatte schon lange aufgehört, sich zu fragen, wo er sich befand oder wie lange er schon hier war. Er hatte sogar aufgehört, sich zu fragen, wer er war. Sie hatte ihm gesagt, auf diese Frage könne ihm niemand eine Antwort geben, die müsse er selbst herausfinden.
    Als sie die Höhe des steilen Anstiegs erreichten, blieb die Frau stehen, und Seite an Seite ließen sie ihren Blick über das Tal schweifen. Dort in der Ferne, jenseits der Talsohle, sah er ihr Ziel: jenen gewaltigen schneebedeckten Kegel, der sich auf einer uralten Ebene wie eine mysteriöse Pyramide aus dem Nichts zu erheben schien. Der Vulkan war an den Seiten von tiefen Rinnen zerfurcht, und die Spitze war eingestürzt; Dampf stieg aus ihm empor, als wäre er kürzlich von einem Blitz getroffen worden.
    Der Anblick flößte ihm Ehrfurcht ein, eine Mischung aus Angst und Liebe, als hätte eine mächtige Hand sein Herz ergriffen. Und plötzlich, völlig unerwartet, war das blendende Licht wieder da.
    »In der kamtschadalischen Sprache heißt er Brumich Eel - Feuerberg«, sagte die Frau neben ihm. »Die mehr als zweihundert Vulkane hier auf der Halbinsel werden Apagachuch genannt, die Reizbaren, weil viele von ihnen immer noch aktiv sind. Bei einem besonders schlimmen Ausbruch hat einmal einer von ihnen vierundzwanzig Stunden lang Lava gespien, die ganze Wälder zerstörte, und auf die Eruption folgten Erdbeben und eine Flutwelle.
    Dieser dort, der Kljutschewskoj, ist erst vor zehn Jahren ausgebrochen und hat weithin alles unter einer Ascheschicht von mehr als einem Werschock begraben. Die Tschuktschen-Schamanen im Norden halten ihn für den heiligen Berg der Toten. Die Toten hausen im
Inneren des Vulkans und werfen mit Felsbrocken, sobald jemand versucht, sich ihnen zu nähern. Sie tauchen unter den Berg und unter das Meer. Die Spitze des Bergs ist bedeckt mit den Knochen der Wale, die sie verschlungen haben.«
    Er konnte kaum den jenseitigen Hang des Tals erspähen, weil das Feuer in seinem Kopf so hell brannte - und fast alles andere überstrahlte.
    »Warum haben die Alten gesagt, du sollst mich dorthin bringen?«, fragte er sie und kniff die Augen zu.
    Aber das Licht war immer noch da. Und da begann er zu sehen.
    »Ich bringe dich nicht dorthin«, erwiderte sie. »Wir werden zusammen gehen. Jeder von uns steht in der Schuld der Toten, jeder auf seine

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