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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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breiten Grinsen, »diese ›Technik‹ musst du mir unbedingt beibringen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich es nicht habe kommen sehen.«
    »Ich auch nicht«, gestand ich. »Und als ich dieses letzte Spiel damals in Moskau gegen dich verloren habe, war es genau dasselbe - Amaurosis Scacchistica . Ich wollte nie mit jemandem darüber sprechen, aber ich gebe zu, dass es nicht das erste Mal war, dass es passiert ist.«
    »Xie, hör mir zu«, sagte Wartan, kam um den Tisch herum, nahm meine Hände und zog mich auf die Füße. »Ein intelligenter Spieler weiß, dass die Schachblindheit jeden erwischen kann, überall und jederzeit. Natürlich verflucht man sich, wenn es passiert, aber es ist ein Fehler, zu glauben, dass es ein
ganz spezieller Fluch ist, den die Götter nur für einen selbst bereithalten. Du hattest das Spiel bereits aufgegeben, bevor du sie überhaupt bei dir bemerkt hattest.
    Und jetzt«, fuhr er fort, »möchte ich, dass du dir dieses Spiel noch einmal ansiehst. Was du eben getan hast, war unglaublich, und es war kein Zufall. Sicherlich auch keine ausgefeilte Strategie. Aber ich habe es noch nie zuvor erlebt. Es war eher ein Fall von ziemlich chaotischer Taktik, die mir um die Ohren flog. Und damit hast du mich völlig kalt erwischt.« Er wartete, bis ich ihm aufmerksam zuhörte. Dann fügte er hinzu: »Und du hast gewonnen .«
    »Aber ich kann mich nicht mal mehr erinnern, wie …«, setzte ich an.
    »Also gut«, sagte er. »Deshalb möchte ich, dass du dich wieder da hinsetzt und dir das Spiel noch einmal ansiehst - egal, wie lange du brauchst -, und den gesamten Verlauf rekonstruierst, bis du weißt, wie du dorthin gekommen bist. Sonst ist es so, wie vom Pferd zu fallen. Wenn du nicht sofort wieder aufsteigst, bekommst du Angst vorm Reiten.«
    Ich hatte seit mehr als zehn Jahren Angst vorm Reiten; seit Sagorsk hatten sich Angst und Schuldgefühle angehäuft, und vielleicht auch schon früher. Aber ich wusste, dass Wartan recht hatte: Solange ich es nicht herausfand, würde ich immer im Staub auf dem Boden liegen, während das Pferd davongaloppierte.
    Wartan lächelte und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. »Ich werde uns in der Zwischenzeit was zum Abendessen machen«, verkündete er. »Und du sagst mir Bescheid, wenn du die Antwort hast. Ich will dich nicht von diesem entscheidenden Moment der Entschlüsselung ablenken. Aber ich verspreche dir hoch und heilig, dass dich, wenn du das Problem gelöst hast, eine hübsche Belohnung erwartet. Ein Großmeister
wird in deinem Bett schlafen und die ganze Nacht lang wunderbare Dinge mit dir anstellen.«
    Er war schon unterwegs zur Küche, als er sich noch einmal umdrehte und sagte: »Du hast doch ein Bett, oder?«

    Wartan blätterte durch den Stapel Papier, meine Rekonstruktion unseres Spiels, während er die Spaghetti herunterschlang, die er für uns, ohne zu murren, in meiner jämmerlich ausgestatteten Küche zubereitet hatte.
    Ich musterte seinen Gesichtsausdruck. Hin und wieder nickte er. Ein- oder zweimal lachte er laut auf. Schließlich schaute er mich an.
    »Dein Vater war eine Art selbst erschaffenes Genie«, sagte er. »Diese Ideen, die du mir hier hingeworfen hast, hat er garantiert nicht während der langen Gefangenschaft im ›Palast der jungen Pioniere‹ entwickelt. Diese Angriffstechniken hast du von ihm? Die könnten vom Schachgenie Philidor stammen, der Steine anstatt Bauern benutzte.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Warum hast du nichts davon in den Spielen gegen mich angewendet? Ach so, stimmt ja, deine Amaurosis .«
    Dann sah er mich plötzlich an, als hätte er gerade eine Eingebung gehabt. »Oder vielleicht waren wir auch beide blind«, sagte er.
    »Blind wofür?«, fragte ich.
    »Wo ist dieses Kärtchen, das Tatjana dir in Sagorsk gegeben hat?«
    Als ich es aus meiner Hosentasche zog, betrachtete er es von beiden Seiten. Dann sah er mich wieder an. »Je tiens l’affaire« , sagte er wie Champollion, als er den Schlüssel zu den Hieroglyphen fand. »Siehst du es? Deshalb steht da: ›Hüte dich vor dem Feuer‹. Der Phönix ist das Feuer, die Ewigkeit,
von der deine Mutter gesprochen hat - immer wieder Tod und Wiedergeburt in Asche und Feuer. Aber der Feuervogel stirbt nicht im Feuer oder in der Asche oder sonstwo. Seine magischen Federn bringen uns das ewige Licht. Ich glaube, das ist die Freiheit, die deine Mutter gemeint hat. Und die freie Wahl. Und das erklärt auch, was sie in Bezug auf das Schachspielen

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