Die Botschaft des Feuers
können.
Obwohl er in direkter Linie vom Propheten abstammte, hatte Sulaiman schon früh die Ideale von Muhammad ibn Abd al-Wahhab von Arabien, dem sunnitischen Reformer des Islams, übernommen. Die Wahhabiten hatten Ibn Saud, den Herrscher von Arabien, dabei unterstützt, große Teile Arabiens von den osmanischen Türken zurückzuerobern.
Der Triumph war nur von kurzer Dauer, aber der Eifer der Wahhabiten hatte im Herzen von Mulai Sulaiman ein Feuer entfacht, das sein Verhalten als religiöser Führer in seinem Herrschaftsbereich radikal änderte. Sowohl zu den dekadenten Türken als auch zu den atheistischen Franzosen mit ihrem auf eine unglückselige Revolution gegründeten Kaiserreich hatte er alle Handelsbeziehungen abgebrochen. Er hatte die Heiligenverehrung unter den Schiiten verboten und die Sufi-Bruderschaften zerschlagen.
Es gab nur ein Volk, das Mulai Sulaiman während seiner dreißigjährigen Herrschaft nicht hatte unter seine Kontrolle bringen oder unterdrücken können: die sufistischen Berber, die auf der anderen Seite des Gebirges lebten.
Und genau das hatte Haidée während der vielen Monate ihrer Gefangenschaft am meisten beunruhigt. Und nach dem, was sie an diesem Morgen erfahren hatte, befürchtete sie nun das Schlimmste. Denn wenn herausgekommen war, dass Kauri sowohl ein Sufi als auch ein Berber war, dann hatte man ihn weder verstümmelt noch verkauft, dann hatte man ihn mit Sicherheit getötet.
Und für Haidée, die das Geheimnis, das Ali Pascha ihr
anvertraut hatte, immer noch hütete, bestand nicht die geringste Hoffnung mehr, dass sie die Außenwelt je wieder als freier Mensch erblicken würde. Es würde ihr niemals gelingen, die gestohlene schwarze Dame zu finden, sie wiederzuerlangen und demjenigen zu übergeben, für den sie bestimmt war.
Aber trotz der quälenden Ängste, die sie bedrückten, als sie ihren Schleier dichter vors Gesicht zog und mit ihren Begleitern über die lange, offene Galerie ging, die zum äußeren Hof führte, klammerte sie sich unwillkürlich an den einen Gedanken, der ihr in den vergangenen elf Monaten immer und immer wieder durch den Kopf gegangen war:
Als ihnen klar geworden war, welchen Kurs ihr Schiff genommen hatte, kurz bevor sie in den marokkanischen Hafen einliefen, wo sie wahrscheinlich für immer getrennt werden würden, hatte Kauri ihr gesagt, dass es nur einen Mann in Marokko gab, der ihnen helfen konnte, falls es ihnen gelang, Kontakt zu ihm aufzunehmen, ein vom Baba Schemimi hochgeschätzter Mann - ein Meister des tarik’at , des Geheimen Wegs, ein sufistischer Einsiedler, bekannt unter dem Namen der »alte Mann aus den Bergen«. Diesen Mann mussten sie aufsuchen, falls einem von ihnen beiden die Flucht gelang.
Haidée betete, dass sie in der kurzen Zeit, die sie außerhalb der streng bewachten Gemächer verbringen durfte, eine Möglichkeit zum Handeln finden würde. Sonst wäre alles verloren.
DAS ATLASGEBIRGE
Schahin und Charlot begannen ihren letzten Abstieg, als die untergehende Sonne den fernen Gipfel des schneebedeckten Zerhun streifte. Für ihre beschwerliche Reise vom tief in der Sahara gelegenen Tassili durch die winterliche Wüste bis nach Tlemçen hatten sie drei Monate gebraucht. Dort hatten sie ihre Kamele gegen Pferde eingetauscht, die dem Winter und dem gebirgigen Gelände in der Kabylei, der Heimat der Kabylen im Atlas-Gebirge, das vor ihnen lag, besser gewachsen waren.
Ebenso wie Schahin trug Charlot den litham , das blaue Kopftuch der Tuareg, die von den Arabern muleththemin , die Verschleierten, und von den Griechen glaukoi , die Blauen, genannt wurden wegen des leicht bläulichen Tons ihrer hellen Haut. Schahin war ein Edler der Kel-Rela-Tuareg, die seit Jahrtausenden die durch die Sahara führenden Straßen kontrollierten und instand hielten - sie hatten die Brunnen gegraben, die Weidegründe für das Vieh geschaffen und bewaffneten Begleitschutz gestellt. Seit uralten Zeiten wurden die Tuareg von Händlern und Pilgern unter allen Wüstenbewohnern am höchsten geschätzt.
Das blaue Kopftuch, das auch das Gesicht bedeckt, hatte Schahin und Charlot sowohl in den Bergen als auch in der Wüste vor mehr als nur dem Wetter geschützt. Durch das Tragen des Tuchs waren sie dakhil-ak , und als solche standen sie unter dem Schutz der amazigh oder Berber, wie die Araber sie nannten.
Auf ihrer 1600 Kilometer langen Reise durch unwegsames Gelände hatten sie von den Amazigh nicht nur Lebensmittel und frische Pferde, sondern auch
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