Die Bourne-Identität
Jason.
»Letzten August, glaube ich. Gegen Ende des Monats.«
»Am 26. August, um fünf Uhr nachmittags, wurde Botschafter Howard Leland in Marseille ermordet.«
»Ja, ich weiß«, sagte Villiers. »Sie erwähnten das schon vorher. Ich bedauere das Hinscheiden des Mannes ... « Der alte Soldat blieb stehen; er sah Bourne an. »Mein Gott«, flüsterte er. »Sie mußte bei ihm sein. Carlos rief, und sie kam. Sie gehorchte.«
»So weit bin ich nie gegangen«, sagte Jason. »Ich schwöre Ihnen, ich sah sie nur als Verbindungsperson - ein blindes Relais, wie man in der Sprache der Agenten sagt. Ich bin nie so weit gegangen.«
Plötzlich entrang sich der Kehle des alten Mannes ein tiefer, haßerfüllter Schrei. Er schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen, bäumte sich auf, legte den Kopf im Mondlicht in den Nacken und weinte.
Bourne bewegte sich nicht; da war nichts, was er tun konnte. »Es tut mir leid«, sagte er.
Der General gewann die Fassung über sich zurück. »Mir auch«, erwiderte er schließlich. »Ich bitte um Entschuldigung.«
»Nicht nötig.«
»Doch, ich glaube schon. Wir wollen nicht weiter darüber sprechen. Ich werde tun, was getan werden muß.«
»Und das wäre?«
Der Soldat saß aufrecht auf der Bank, das Kinn energisch vorgestreckt. »Da fragen Sie noch? Das, was sie getan hat, ist nichts anderes, als wenn sie mein Kind, das sie nicht trug, getötet hätte. Sie gab vor, die Erinnerung an ihn teuer zu halten, und doch war und ist sie eine Komplizin des Mordes, der an ihm begangen wurde. Und die ganze Zeit beging sie einen zweiten Verrat gegen die Nation, der ich mein ganzes Leben lang gedient habe.«
»Sie werden sie töten?«
»Ich werde sie töten. Sie wird mir die Wahrheit sagen und sterben.«
»Sie wird alles leugnen, was Sie sagen.«
»Das bezweifle ich.«
»Das ist verrückt!«
»Junger Mann, ich habe mehr als ein halbes Jahrhundert damit verbracht, die Feinde Frankreichs in die Falle zu locken und zu bekämpfen, selbst wenn es Franzosen waren. Die Wahrheit muß endlich ans Licht.«
»Was glauben Sie denn, daß sie tun wird? Dasitzen und Sie anhören und ruhig zugeben, daß sie schuldig ist?«
»Sie wird gar nichts ruhig tun. Aber sie wird es zugeben; hinausschreien wird sie es.«
»Warum sollte sie das?«
»Weil sie, wenn ich sie beschuldige, Gelegenheit haben wird, mich zu töten. Und wenn sie es versucht, handle ich in Notwehr, nicht wahr?«
»Das Risiko würden Sie eingehen?«
»Das muß ich eingehen.«
»Hören Sie mir zu«, beharrte Jason. »Sie sagen, zuerst käme Ihr Sohn. Denken Sie an ihn! Machen Sie Jagd auf den Mörder, nicht die Komplizin. Mag sein, daß sie für Sie eine ungeheure Wunde ist, aber es gibt eine größere Wunde. Sie müssen zuerst den Mann bekommen, der Ihren Sohn getötet hat! Am Ende werden Sie sie beide bekommen. Sprechen Sie noch nicht mir ihr! Benutzen Sie Ihr Wissen gegen Carlos. Jagen Sie ihn mit mir. Niemand ist je so dicht auf seiner Spur gewesen.«
»Sie verlangen von mir Unmenschliches«, sagte der alte Mann.
»Nicht, wenn Sie an Ihren Sohn denken. Nur wenn Sie an sich denken. Aber nicht, wenn Sie an die Rue du Bac denken.«
»Sie sind hart, Monsieur.«
»Ich habe recht, und Sie wissen es.«
Eine Wolke zog am Nachthimmel vorüber und verdunkelte kurz die Mondscheibe. Die Finsternis war vollkommen; Jason schauderte. Als der alte Soldat wieder sprach, klang seine Stimme resigniert.
»Ja, Sie haben recht«, sagte er. »Sie sind hart wie Stahl, und Sie haben recht. Den Mörder, nicht die Hure, muß man zur Strecke bringen. Werden wir es schaffen?«
Jason schloß kurz erleichtert die Augen. »Tun Sie nichts. Carlos muß mich in ganz Paris suchen. Ich habe seine Männer getötet, seine Codes entdeckt, einen Kontakt gefunden. Ich bin ihm auf der Spur. Wenn ich nicht falsch gewickelt bin, wird Ihr Telefon ab jetzt immer häufiger benutzt werden. Ich sorge dafür.«
»Wie?«
»Ich werde mich an ein halbes Dutzend Angestellte von Les Classiques heranmachen. Ein paar Verkäufer, die Lavier, vielleicht Bergeron, und ganz bestimmt den Mann an der Telefonzentrale. Sie werden sprechen. Und ich werde das auch. Die ganze Zeit wird Ihr Telefon klingeln.«
»Aber was ist mit mir? Was soll ich tun?«
»Bleiben Sie zu Hause. Sagen Sie, Sie fühlten sich nicht wohl. Und jedesmal, wenn das Telefon klingelt, bleiben Sie in seiner Nähe. Hören Sie sich die Gespräche an und versuchen Sie, Codes zu erkennen. Befragen Sie Ihre Angestellten. Horchen
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