Die Bourne Intrige
auf.
Tarkanian hob drohend den Zeigefinger. »Ich hab dir gesagt …«
»Immer mit der Ruhe, ich tu ihm nichts«, sagte Arkadin und verzog vor Schmerz das Gesicht, dann ging er zu Joškar Antonin hinüber. Er kniete sich hin, band sie los und löste den Knebel.
Im nächsten Augenblick erfüllte ihr schmerzerfülltes Klagen den Raum. Sie lief an den Männern vorbei die Treppe hinauf und nahm ihren toten Sohn in die Arme. Und da saß sie dann und wiegte ihr Kind schluchzend an ihrer Brust, ohne noch mitzubekommen, was rund um sie passierte.
Die drei anderen Kinder kauerten vor Arkadin und weinten. Er wandte sich von der Mutter und ihrem Sohn ab, um die drei Mädchen zu befreien, die sogleich zu ihrer Mutter eilten. Sie strichen ihrem Bruder übers Haar, ehe sie sich an ihre Mutter drückten.
»Wie ist das passiert?«, fragte Tarkanian.
Wieder wusste Arkadin nicht, ob er mit ihm sprach oder mit sich selbst. Dennoch antwortete er und erzählte ihm alles, was passiert war, so wie er es gesehen und erlebt hatte. Er ließ nichts aus und blieb hundertprozentig bei der Wahrheit, weil ihm sein Instinkt sagte, dass das der beste – ja, der einzig mögliche – Weg für ihn war.
Als er fertig war, setzte sich Tarkanian auf den Boden. »Verdammt, ich hab gewusst, dass Oserow Probleme machen wird. Ich hätte aber nicht gedacht, dass es so schlimm wird.« Er sah sich in der heimeligen Umgebung um, deren Atmosphäre durch die Blutflecken, das laute Wehklagen und den Gestank des Todes getrübt wurde. »Ich würde sagen, wir sind im Arsch. Wenn Lew Antonin erfährt, was Oserow mit seiner Familie gemacht hat, dann kommen wir nie mehr aus dieser beschissenen Stadt heraus. Dann sind sie schneller hinter uns her, als du Finger weg von meiner Frau sagen kannst.«
»Tony Curtis«, sagte Arkadin, »Virna Lisi, George C. Scott.«
Tarkanian hob verblüfft die Augenbrauen. »Norman Panama.«
»Ich liebe amerikanische Komödien«, sagte Arkadin.
»Ich auch.«
Im nächsten Augenblick schien ihm bewusst zu werden, wie unangebracht das Gesprächsthema war, und Tarkanian fügte rasch hinzu: »Uns wird nichts bleiben als diese Erinnerungen, und dann nicht einmal mehr das, sobald Lew Antonin und seine Leute uns erwischen.«
Arkadins Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Er befand sich wieder einmal mitten in einer Situation auf Leben und Tod, doch im Gegensatz zu den beiden Moskauern war er hier auf eigenem Terrain. Er konnte sie natürlich sich selbst überlassen und allein versuchen zu flüchten. Aber wohin sollte er gehen? Zurück in seinen Keller? Es schauderte ihn bei dem Gedanken, und er wusste, dass er keine Minute mehr eingesperrt sein konnte. Nein, ob es ihm nun passte oder nicht – sein Schicksal war mit diesen beiden Leuten verknüpft, denn sie waren seine Fahrkarte in die Freiheit, sie würden ihn nach Moskau bringen.
»Als ich hier reinkam, habe ich Joškars Auto vor dem Haus gesehen«, sagte er. »Steht es noch da?«
Tarkanian nickte.
»Ich hole sie und die Kinder. Such ihre Handtasche, da ist wahrscheinlich der Autoschlüssel drin.«
»Dir ist schon klar, dass ich nicht ohne Oserow gehe.«
Arkadin zuckte die Achseln. »Der Scheißkerl ist deine Sache. Wenn du ihn mitnehmen willst, kannst du ihn allein tragen – wenn ich nämlich noch einmal in seine Nähe komme, dann bring ich das zu Ende, was ich angefangen hab.«
»Das würde Maslow nicht gefallen, das verspreche ich dir.«
Arkadin hatte die Nase voll von diesen Eindringlingen. »Scheiß auf Maslow«, versetzte er gereizt, »mach dir lieber Gedanken über Lew Antonin.«
»Über diesen Schwachkopf!«
»Falls du’s noch nicht weißt: Ein Schwachkopf kann dich genauso gut umbringen wie ein Genie – und normalerweise noch um einiges schneller, weil ein Schwachkopf nämlich kein Gewissen hat.« Er zeigte auf Oserow. »So wie dein Kumpel da. Ein Kampfhund hat mehr Verstand als er.«
Tarkanian sah Arkadin eindringlich an, so als würde er ihn jetzt erst richtig sehen. »Du interessierst mich, Leonid Danilowitsch.«
»Nur meine Freunde nennen mich Leonid Danilowitsch.«
»Soweit ich das sehe, hast du keine Freunde.« Tarkanian machte sich auf die Suche nach Joškars Handtasche und fand sie auf dem Boden neben dem Sofa, wo sie wahrscheinlich vom Beistelltisch gestoßen worden war. Er öffnete die Tasche, kramte darin herum und zog schließlich triumphierend den Autoschlüssel hervor. »Vielleicht, wenn wir alle miteinander Glück haben, dann wird sich das
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