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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Anzugjacke.
    »Gehen wir?«
    Er nahm meinen Arm, so stolz, als würde man uns sehen, beobachten, ausspionieren.

    »Überall gibt es Schatten, hinter jeder Tür, jedem Vorhang, erzählen Sie mir nicht, dass Sie nichts bemerkt haben. Sie zum Beispiel, Sie können sich gar nicht vorstellen, was man sich alles über Sie erzählt … Darüber, dass Sie neulich mit diesem Lambert im Gasthof gegessen haben. Es genügt ein einziger Augenzeuge! Ich verstehe übrigens nicht, was Sie an ihm finden, er ist schlecht gekleidet, schlecht frisiert, und die Jacke, die er trägt, ist ziemlich unförmig. Außerdem ist sein Auftreten sehr gewöhnlich.«
    Er sah mich an.
    »Ist er eigentlich wieder aufgetaucht?«
    »Nein, immer noch nicht.«
    Der Friedhof, auf dem Prévert lag, war ganz in der Nähe. Wir hatten vor, dort Halt zu machen und dann bis zum Haus in Val weiterzugehen.
    Monsieur Anselme lächelte.
    »Es ist wirklich schön, dass Sie da sind.«
    Er machte Pläne für einen anderen Ausflug. Er wollte, dass wir nach Cherbourg fahren, um Apfeltarte zu kaufen.
    »Place de la Fontaine Nummer fünf! Prévert fuhr extra deshalb jeden Mittwoch hin! Mit seinem karierten Hut auf dem Kopf. Die Bäckersfrau wusste nicht, wer er war. Als er gestorben ist, hat sie ihn im Fernsehen wiedererkannt. In den Abendnachrichten. Das ist doch mein Mittwochskunde!, hat sie gesagt.«
    Er sah mich an.
    »Wir fahren hin, ja?«
    »Ich weiß nicht.« Das konnte ihm seine Laune nicht verderben.
    »Wenn Sie nicht mitkommen, fahre ich allein und bringe Tarte mit.«
    Es war ein schöner Sonnentag. Die Leute waren in ihren Gärten,
saßen auf der Schwelle. Die Wäsche trocknete auf den Leinen.
    Ich war mit den Gedanken woanders, er merkte es, denn er bat mich, ihm zu erzählen, was mich beschäftige.
    Ich berichtete ihm alles, das Foto bei Lili, das bei Nan aufgetauchte Medaillon, die Wahrheit über den Untergang des Bootes. Er hörte aufmerksam zu.
    »Und seit drei Tagen ist Lambert verschwunden, seit seinem Streit mit Théo.«
    Er dachte darüber nach.
    »Jemand hat mir erzählt, er würde bei der Irin in La Rogue wohnen.«
    »Ja, aber ich weiß nicht, ob er noch dort ist.«
    »Warum rufen Sie ihn nicht an?«
    Und dann sagte er noch: »Der Tod der Peracks ist also die unvorhersehbare Folge einer Tat der Liebe, der Leidenschaft eines Leuchtturmwärters für seine Vögel.«
    Er wiederholte es: »… die unvorhersehbare Folge …«
    Über Michel wusste er allerdings nichts. Dazu musste er erst noch mit Ursula sprechen.
    Wir gingen zum Friedhof. Préverts Grab war nah am Zaun – ein hoher Stein, auf dem kleine Kiesel vom Strand lagen. Die Kiesel bildeten eine instabile Pyramide, die unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen drohte. Monsieur Anselme streichelte den Stein.
    »Erst nach ihrem Tod gehören diese großen Männer irgendwie uns, finden Sie nicht? Man kann sie ohne großartige Formalitäten besuchen.«
    Er legte die Rose hin, die er von seinem Pierre de Ronsard abgeschnitten hatte.
    »Er selbst hat diesen Ort ausgewählt, neben den Mülltonnen, er wusste es, aber es war ihm egal.«

    Neben Préverts lagen die Gräber von Janine und Minette. Und dahinter, im Schatten einer Mauer, das seines Freundes Trauner.
    »Er ist im April gestorben, am Ostermontag. Schon zwei Tage vorher haben die Journalisten ihre Zelte vor seinem Haus aufgeschlagen. Janine hat sehr geweint. Sie hat ihren Blumenstrauß auf den Sarg geworfen. Der Strauß war so schön! Wir haben alle Blumen hineingeworfen.«
    Efeu bedeckte den Boden. Ich wühlte in meinen Taschen, holte einen kleinen, glatten, roten Stein heraus und legte ihn zu den anderen.
    Monsieur Anselme nahm meinen Arm. Sein Schritt neben meinem. Wir setzten unseren Weg fort. Große Blumen wuchsen zwischen dem Gestrüpp, riesige Fuchsien breiteten ihre Blüten sogar über die Sträucher aus. Die Blumen strebten zum Licht. Wenn sie nicht durch das Gesträuch drangen, wuchsen sie am Boden entlang.
    »Interessiert Sie dieses Kind, weil es ausgesetzt wurde? Oder weil Nan es adoptiert hat? … Antworten Sie nicht. Fassen wir lieber zusammen. Sie haben dieses Kind auf einem Foto bei Lili gesehen, Lili hat das Foto dann verschwinden lassen. Dasselbe Kind hat Lambert im Hof von Théo gesehen, wo es ein Kalb am Strick hielt. Richtig?«
    »Richtig. Aber es ist nicht sicher, dass es dasselbe Kind war.«
    »Nicht sicher, aber Sie glauben, dass es dasselbe ist. Und das Kind, das Nan adoptiert hat, ist weggegangen. Und Sie würden

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