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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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in Omonville besuchen kommen. Ich zeige Ihnen das Haus im Val, das Haus, wo Prévert sein Leben beenden wollte. Der Ort wird Ihnen gefallen, ganz sicher!«
    Er drehte sich zu Lili um, bestellte zwei Gläser Schnaps aus einer Flasche ohne Etikett. Er drehte sein Glas zwischen den Händen. Es war ein klarer Schnaps, der angenehm nach Pflaume schmeckte. Er trank einen Schluck.
    »Das Gesöff ist stark«, sagte er und schnappte nach Luft, »aber manchmal brauchen wir so was.«
    Er sah mich an.
    »Langweile ich Sie? Meine Tochter sagt mir auch manchmal, dass ich langweilig bin.«
    Er klappte das Buch zu und legte es an den Tischrand.
    »Was beschäftigt Sie heute so sehr?«
    »Wussten Sie, dass Théo Nan geliebt hat?«
    Er sah mich überrascht an.
    »Natürlich wusste ich das. Alle hier wissen es.«
    »Und dass sie manchmal zu ihm fuhr, wenn er im Leuchtturm war?«
    Er zeigte auf Lili und die Mutter.
    »Solche Sachen hat man sich erzählt, aber … Hier ist wohl nicht der beste Ort, um sich darüber zu unterhalten.«
    Er drückte die Hände aneinander, die Lippen gegen die Finger. Sein amüsiertes Lächeln. Er neigte sich zu mir.
    »Wissen Sie, die Liebe … Wie kommt es, dass sie einen packt, einfach so, auf den ersten Blick, ohne dass man sich je zuvor gesehen hat? Manche Begegnungen kommen zustande, andere entgehen uns, wir sind so unaufmerksam … Manchmal treffen wir jemanden, wir wechseln nur ein paar Worte, und wir wissen, dass wir etwas Wichtiges miteinander erleben werden. Aber es reicht eine Kleinigkeit, damit dieses Wichtige nicht geschieht
und jeder seinen Weg weitergeht. Wenn die beiden sich geliebt haben …«
    Er sagte es ganz leise und warf dabei einen raschen Blick zu Lili.
    »Théo bekommt Briefe«, sagte ich.
    »Was für Briefe?«
    »Ich weiß nicht. Er hat sehr viele … Umschläge, alle in derselben Schrift, mit violetter Tinte.«
    »Und was steht drin?«
    »Ich habe sie nicht gelesen. Sie kommen aus einem Kloster in der Nähe von Grenoble.«
    »Ich habe nie davon gehört, dass Théo Verwandte bei den Mönchen hat.«
    Er lehnte sich wieder zurück.
    »Wir könnten uns bei Lili erkundigen, aber irgendwas sagt mir, dass es nicht das Sinnvollste wäre, sie über ihren Vater auszufragen.«
    Er überlegte einen Moment.
    »Sie gehen doch bei Théo ein und aus. Das Einfachste wäre, ihn zu fragen. Oder Sie entwenden unauffällig einen dieser Briefe, lesen ihn und legen ihn an seinen Platz zurück.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Na gut, dann reden wir von etwas anderem … Versprechen Sie mir, dass Sie mich in Omonville besuchen kommen? Wir könnten uns für morgen verabreden. Nein, morgen ist Freitag, da kommen meine Kinder … Sie brauchen frische Luft. Wobei sie freitags erst am Abend da sind. Wenn Sie am frühen Nachmittag kommen, könnte es klappen … Oder Montag, Montag sind sie wieder weg.«
    »Monsieur Anselme?«
    »Ja?«
    Ich sah ihn an.

    »Sie haben mir doch erzählt, dass Nan ein Kind adoptiert hat und dass dieses Kind Michel hieß.«
    »Das stimmt.«
    »Wie hieß es mit Nachnamen?«
    Er sah mich mit großen Augen an.
    »Das weiß ich nicht! Ich bin auch nicht sicher, ob ich es überhaupt einmal gewusst habe.«
    Er überlegte kurz.
    »Wenn es Sie wirklich interessiert, könnte ich Ursula danach fragen.«
    »Sagt Ihnen Lepage etwas?«
    »Lepage? … Nein, ich glaube nicht.«
    »Und Däumling?«
    »Däumling! Teufel nochmal, was soll das denn jetzt? Entschuldigen Sie … Nein, Däumling sagt mir nichts. Vielleicht könnten Sie mich aufklären?«
    »Morgen besichtigen wir das Haus von Prévert, und Sie finden für mich den Familiennamen dieses Jungen heraus.«

I ch ging auf dem Pfad am Meer nach Omonville. Monsieur Anselme hatte mir sein Haus beschrieben, den Garten, den kleinen Holzzaun davor. Ich hatte keine Mühe, es zu erkennen. Als ich ankam, stand er auf einer Stehleiter, er schnitt die welken Rosen von einem großen Strauch, der an der Hauswand wuchs.
    »Das ist ein Pierre de Ronsard!«, sagte er und stieg von seiner Leiter.
    Er band seine Schürze ab.
    »Sind Sie zu Fuß gekommen?«
    »Ja.«
    Er rieb sich die Hände.
    »Ich habe Ihnen Orangeade gemacht, ein Rezept meiner Großmutter!« Er eilte ins Haus und kam mit einer Karaffe zurück. Wir tranken ein Glas und sprachen über den Garten. An der Wand blühten üppige Irisbüsche. Margeriten. Ein großer Jasmin.
    Er tauschte die Gartenstiefel gegen ein Paar cremefarbener Mokassins aus und steckte ein Seidentüchlein in die

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