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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Straße raus, und ich hörte die Kühe. Ich machte die Tür auf. Die Köpfe drehten sich zu mir. Es war dämmrig, fast dunkel. Es
roch nach Stroh und nach der Milch, die aus den Eutern tropfte. Schwere Ketten lagen um die Hälse der Kühe. Ketten, die an die Wände klirrten. Ich legte die Hand auf die weichen Bäuche, die warmen Hälse. In den Krippen war Heu, in den Eimern Mehl.
    Der Vater der Bachstelze stand bei den Kälbern. Zwischen Licht und Schatten. Näher am Licht. Eine Forke in der Hand. Er war sicher schon da gewesen, als ich hereingekommen war. Er sah mich an. Sein Lächeln war irgendwie brutal.
    Er stach die Forke in ein Bund Heu.
    »Man soll sich nicht in den Ställen rumtreiben«, sagte er.
    Er wiederholte es mit dumpfer Stimme.
    »Soll man nicht.«
     
    Ich nahm Raphaëls Auto und fuhr zur Irin. Ich hatte Pauls Foto dabei und den Bericht vom Untergang. Ich parkte auf dem Hof, vor dem Eingang.
    Betty lag wie beim ersten Mal auf ihrem Sofa vor dem Fernseher.
    Sie stand nicht auf.
    Sie sagte mir, dass Lambert schon vor mehreren Tagen abgereist sei. Er sei am Dienstag spätabends zurückgekommen, hätte seine Sachen geholt und sich auf den Weg gemacht.
    »Hat er Ihnen nicht gesagt, wo er hinwollte?«
    »Nein. Ich habe ihn auch nicht danach gefragt.«
    »Wie war er?«
    »Wie meinen Sie das? Nicht strahlender als sonst, auch nicht gesprächiger. Er war er selbst, sagt man das nicht so?«
    »Doch, das sagt man so. Wenn Sie ihn sehen, könnten Sie ihm sagen, dass ich ihm ein Foto geben möchte?«
    »Ich sage es ihm.«
    Sie drehte sich wieder zum Fernseher und starrte auf den Vorspann
eines Films, der gerade anfing. Sie achtete nicht mehr auf mich.
    Ich hätte mich hinsetzen und mir mit ihr den Film ansehen können, aber ich fuhr weiter nach Cherbourg.
    Zum Bahnhof.
    Die Züge, die hier ankamen, fuhren nicht mehr weiter – Gleise, die kurz vor dem Meer enden. Ich dachte daran, eine Fahrkarte zu kaufen und woandershin zu fahren. Von hier war jedes Woanders möglich. Sogar ohne Fahrkarte. Wenn ich kontrolliert würde, würde ich einen Zuschlag zahlen müssen. Es wäre egal.
    Eine Frau wartete auf die Ankunft eines Zuges, hingelümmelt auf einer Bank, Taschen um sich herum.
    Es war windig. Wolken ballten sich zusammen. Schließlich verließ ich den Bahnhof wieder und landete in einer trostlosen Gasse in einem dunklen Viertel. Im Café zeigte der Wirt auf den Aushang über dem Tresen: Hier wird nicht geraucht!
    Ich rauchte trotzdem. Er regte sich nicht auf. Es war auch niemand da, nur er und ich. Im Fernseher lief ein Fußballspiel.
    Die Toiletten befanden sich ganz hinten im Raum. In der Tür war ein Loch. Wenn man von draußen das Auge randrückte, konnte man sehen, was drinnen passierte. Man konnte auch von drinnen nach draußen blicken.
    »Haben Sie das Loch gemacht?«
    »Welches Loch?«
    Ich zeigte es ihm. Er zuckte die Schultern, wischte weiter die Tische ab und sah sich das Spiel an.
    Auf dem Rückweg ging ich an der Konditorei Place de la Fontaine 5 vorbei und kaufte die Apfeltarte, von der mir Monsieur Anselme erzählt hatte.

M organe saß in der Küche, wo sie gerade eine Brautkrone vollendete. Es war ein prächtiges Diadem, das sie aus unechten Diamanten gesteckt hatte.
    Es war schön. Es glitzerte.
    Die Ratte schlief zu einer Kugel zusammengerollt in der Kiste zwischen den Perlen. Als ich ihren Bauch berührte, drehte sie sich auf den Rücken und streckte alle viere von sich. Ich streichelte sie weiter.
    Morgane sah mich an.
    »Ist er immer noch nicht zurückgekommen?«
    »Nein.«
    »Er hätte sich verabschieden können.«
    »Hätte er, ja.«
    Sie setzte ihre Arbeit fort.
    »Ich bin sicher, dass er zurückkommt.«
    Wir sprachen über ihn, über die Liebe, das Verlangen. Wir sprachen über ihn und über die Männer, die Morgane geliebt hatte. Raphaël hörte uns zu. Er kam und trank am Fenster im Stehen ein Bier.
    »Wo bist du heute gewesen, Prinzessin?«
    Ich zeigte ihm die Kuchenschachtel, die Tarte darin.
    Er kam zum Tisch.

    »Lambert ist weg«, sagte Morgane, die Nase in ihren Perlen.
    Er sah mich mit hochgezogenen Brauen an, nahm meine Hand und roch an ihr.
    »Trotzdem riechst du nach Mann …«
    Morgane knotete den Faden ihrer Krone zusammen, kontrollierte das Ganze und setzte sich die Krone auf den Kopf.
    Sie war wundervoll.
    Sie schob die Kiste an den Tischrand.
    »Erzähl!«
    »Es gibt nichts zu erzählen …«
    »Wer war es?«
    »Keine Ahnung, ein Typ in einem Café.«
    »Du pennst mit

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