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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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irgendwem!«
    »Ich habe mit niemandem geschlafen.«
    Raphaël setzte sich neben Morgane. Ich sah sie beide an. Ihre Hände, ihre Haut … Sie waren Geschwister, und sie liebten sich. Ich wusste nicht wie. Ich wusste nicht, ob sie sich berührten. Ich hatte Raphaëls Hand oft an Morganes Nacken liegen sehen. Ihre besondere Art, sich anzulächeln, sich anzusehen.
    »Wer ist der Kerl, der dich so durcheinanderbringt?«
    »Es gibt keinen Kerl.«
    »Das ist das Problem!«
    Ich wandte den Kopf ab.
    »Ich sage doch, es gibt keinen Kerl.«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Du musst vögeln, danach geht’s dir besser.«
    »Ich will nicht, dass es mir besser geht.«
    Sie streckte mir ihre Zigarette hin.
    »Dann zieh wenigstens mal.«
    Ich sah nach draußen.
    Durch das Fenster sah man das Meer.
    Wir aßen die Tarte.
    Raphaël rief Max. Er sagte ihm, dass es Tarte gebe, aber Max war dabei, Planken für sein Boot zu sägen. Er wollte nicht kommen. Die Bachstelze stand neben ihm, beide Füße in Satteltaschen. Diese Taschen hatte ihr Max gegeben, als er die seines alten Fahrrads ausgetauscht hatte. Auch die Bachstelze wollte nicht kommen.
    Wir legten zwei Stück beiseite.
    Morgane nahm ihre Ratte und machte die Kiste zu. Wir unterhielten uns weiter über Lambert.
    Morgane fragte sich, was er mit dem ganzen Geld machen würde, wenn er sein Haus verkauft hätte.
    Wir sprachen vom Tod seiner Eltern und vom Verschwinden seines Bruders.
    Dann kam die Kleine zu uns. Sie setzte sich auf einen Stuhl und fing an, ein Stück Schorf abzureißen, das sich von ihrem Knie löste.
    »Das gibt eine Narbe«, sagte ich irgendwann.
    Es war ihr egal. Sie zog vorsichtig, bis sie den Schorf abgelöst hatte.
    Max stieß kurz danach zu uns.
    »Ich bin gesteinigt!«, sagte er.
    »Was verstehst du darunter, Max? Gesteinigt bedeutet, dass man Steine auf jemanden wirft.«
    Er biss in sein Stück Tarte.
    »Ich bin anders gesteinigt … Ohne Steine.«
    »Ohne Steine?«
    »Ja … Gesteinigt … Versteinert eben!«
    »Dann sag doch versteinert, das ist einfacher.«
    Die Kleine beobachtete Max. Er interessierte sie. Seine Bewegungen, dieses wunderbare Boot.
    »Versteinert ist weniger stark auf der Skala«, sagte er.
    Ich lächelte.

    »Du hast Recht. Du bist gesteinigt. Warum eigentlich nicht?«
    Und als ich ihn fragte, warum er so gesteinigt sei, wusste er es nicht mehr. Er sagte, er habe es vergessen.
    Am Abend heftete sich weißer Nebel an die Bootsmasten. Vom Hafen war das Geisterklirren der Ketten zu hören, die die Boote hielten.
    Ein schwarzes Boot glitt über das Wasser, entfernte sich in Richtung Fahrrinne. Ein Mann stand aufrecht vorn im Bug. Ein Nachtfischer. Er trug einen weiten, schwarzen Mantel, der wie ein Umhang aussah. Die Barke schien über das Wasser zu schweben.
    Ich hörte das Plätschern der Ruder und dachte an die, die das Meer genommen und nicht mehr zurückgegeben hatte. Ich dachte an die Körper, die Gefangene des Wassers blieben.
    Hin- und hergeworfen. Auf und ab. Endlose Albträume. Ich dachte an Lamberts kleinen Bruder.
    La Hague ist voller Legenden, ein Ort voller Aberglauben. Man sagt, manche Verschwundenen kehrten nachts zurück, außerstande, sich vom Land zu lösen. Sich davon zu trennen.
    Ich ging am Kai entlang. Die Möwen hatten sich auf der Mole versammelt. Einige schliefen schon, den Schnabel unter die Flügel gesteckt. Der Nebel verschluckte das Geräusch meiner Schritte, meines eigenen Atems.
    In der Ferne der Glockenturm der Kirche.
    In Vollmondnächten kann man angeblich einen Mann sehen, der auf einem großen Pferd über die Heide reitet. Die Frauen träumen davon, ihn zu treffen. Sie gehen nachts hinaus, entfernen sich von den Häusern. Sie folgen einem der schmalen Pfade, die sich in der Heide verlieren. Am Morgen kehren sie zurück, niemand kann sagen, was sie getan haben.
    Plötzlich ein schriller Schrei, dann Stille.

    Ein Kaninchen rannte vor mir auf dem Weg davon. Ich lief in dieser Nacht, wie ich in den ersten Nächten gelaufen war, als ich Abstand von dir bekommen wollte. Ich war gelaufen, bis mein Körper erschöpft war. Auch als er erschöpft gewesen war, war ich noch weitergelaufen.
    Das hatte ich getan.
    Und nun auch in dieser Nacht.
    Ich schlief schlecht, verfing mich in meinen Laken. Oder in meinen Träumen.
    Ich kämpfte.
    Am nächsten Morgen traf ich Raphaël auf der kleinen Bank im Flur. Kippen lagen auf der Erde, andere hatte er an der Bank ausgedrückt.
    »Du wirst noch alles abfackeln«, sagte

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