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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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gerade in deinem gottverdammten Hof, und du wirfst mir vor, dass ich dich nicht begrüßt habe?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Damals wusste ich es noch nicht …«
    Er stand auf, folgte ihr hinter den Tresen. Packte ihren Arm.
    »Ich glaube dir nicht.«
    Sie machte sich los. Sie starrte auf etwas, das vor ihr in der Spüle lag. Lappen oder Gläser. Oder sie starrte ins Nichts.
    »Das ist es nicht, was ich dir vorwerfe«, sagte sie.
    »Was dann?«
    Sie antwortete nicht, er wiederholte es, lauter. Endlich schaute sie auf.
    »Einmal bist du zurückgekommen, du warst fast zwanzig. Du warst ganz allein.«
    Lambert dachte über das nach, was sie gerade gesagt hatte. Er brauchte einen Moment, um zu verstehen.

    »Du hast mit meinem Vater gesprochen.«
    »Das hast du mitbekommen?«
    Sie hielt seinem Blick stand. Ein paar Sekunden.
    »Ich stand hinter dem Fenster, ich habe dich sofort erkannt, habe dich mit meinem Vater sprechen hören, ich hatte das Fenster einen Spalt geöffnet. Du hast nicht mal gefragt, wie es mir geht.«
    Er sah sie an, als wollte er etwas begreifen, was ihm entgangen war. Diesen hartnäckigen Groll in Lilis Augen. In ihrer Stimme. Er wandte sich kurz ab und sah ihr dann wieder ins Gesicht.
    »Ich hab dich geliebt …«, erklärte sie und zwang sich, darüber zu lachen. »Und ich dachte, du würdest mich auch irgendwann lieben … Ich hab jahrelang auf dich gewartet, und dann hab ich eines Tages begriffen, dass du nicht mehr kommen würdest, also hab ich geheiratet, einen …«
    Sie ließ ihren Satz so stehen, unvollendet.
    Sie sahen sich einen Moment lang an, er fassungslos. Hatte ihn Lili so sehr geliebt, dass sie sich auch an ihm rächte, wie sie sich an ihrem Vater gerächt hatte, weil er eine andere Frau liebte? Weil er ein anderes Kind geliebt hatte, mehr als sie? Ein Kind, das nicht mal seins war.
    »Du hast mich geliebt …«
    »Wir haben uns ein paarmal geküsst.«
    »Geküsst, ja …«
    Er näherte sich ihr.
    Sie hatte ihn Blumen aufs Meer werfen lassen, für einen Toten, der nicht dort war. Sie hatte ihn weinen, glauben, warten sehen.
    »Der Junge, der an diesem Tag bei deinem Vater war, auf dem Hof, er führte ein Kalb am Strick, erinnerst du dich? … War das mein Bruder? … War er das, los, sag schon!«
    »Er war es, aber ich wusste es damals noch nicht.«

    »Du wusstest es!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich habe es erst sehr viel später erfahren.«
    Lambert ballte die Fäuste. Ich dachte, er würde sie packen und würgen. Ich glaube, Lili hätte die Schläge hingenommen, sie hätte alles ertragen, ohne sich zu wehren. Aber er schlug auf den Tresen. Ein gewaltiger Faustschlag. Die Gläser vibrierten. Er auch, seine Stimme.
    »Und du hast dir gewünscht, dass ich dir guten Tag sagen komme! Dass ich dich heirate womöglich!«
    Er packte sie am Arm, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände, ein paar Zentimeter vor seinem.
    »Du bist wie deine Mutter, nichts als Hass. Und Hass fickt man nicht!«
    Ich sah, wie sich Lilis Züge angesichts der Gewalt der Beschimpfung auflösten. Sie musste sich einen Moment mit der Hand am Tresen festhalten. Ihre Lippen zitterten.
    Er wandte den Kopf ab. Sie sah ihn immer noch an, auch als er ihr den Rücken zuwandte.
    Er machte die Tür auf.
    Ich sah ihn über die Straße gehen.
    Lili ging in die Küche, ihre zusammengesunkene Gestalt hinter dem Streifenvorhang.

I ch blieb allein mit der Alten, die noch älter geworden war, so hinfällig, knallrot. Unfähig, sich hinzusetzen. Unfähig, sich aufrecht zu halten.
    Ich konnte sie nicht anrühren. Ihre Hand nehmen. Ihr helfen, sich zu setzen. Ich holte ein Glas Wasser, stellte es vor sie auf den Tisch. Mehr konnte ich nicht tun.
    Mir fiel der Abend nach dem großen Sturm ein, als wir uns alle hier im Bistro versammelt hatten, Lilis Gesicht, als Lambert hereinkam.
    Ihr Gesicht hatte sich verhärtet. Was hatte sie empfunden, als sie ihn erkannt hatte? Welche Angst hatte sie gepackt?
    Er war nicht abgereist. Er war geblieben. Und dann hatte er sich in dem Haus gleich gegenüber niedergelassen.
    »Geht’s?«, fragte ich die Mutter und ging zu ihr zurück.
    Sie antwortete nicht.
    Ihre Wangen hatten jede Farbe verloren, aber sie schien ruhiger zu atmen.
    »Ich gehe dann mal.«
    Ich trat zur Tür. Ich legte die Hand auf die Klinke. Als ich mich noch einmal umdrehte, stand sie vor mir, sie klebte förmlich an mir.
    »Der Alte, er glaubt, ich war’s … Aber ich habe nichts gesagt.«

    Sie richtete den Blick auf

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