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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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sich auf und suchte auf dem Tisch nach seiner Brille.
    »Habe ich geschlafen?«
    »Ein bisschen, ja.«
    Er wandte den Kopf zum Fenster. Es war dunkel. Das weiße Kätzchen lag auf seinem Schoß.
    Er hob es hoch und setzte es auf das Bett. Unendlich sanft. In wenigen Tagen waren seine Bewegungen die eines Greises geworden.
    »Wollen Sie einen Kaffee?«
    Er wärmte in einem Eisentopf Kaffee auf. Seine Pantoffeln rutschten über den Boden, schoben Flusen aus Haaren und Staub beiseite.

    Sein Schatten an der Mauer, der langsame Schatten seines Arms.
    »Lili ist auch dahintergekommen, viel später … Ich weiß nicht wie … Ich hab mich so oft mit ihrer Mutter gestritten. Sie hat uns wohl gehört.«
    Er goss den Kaffee in die Tassen und stellte sie auf den Tisch.
    »Sie hätte ein anderes Kind adoptieren können, an echten Waisenkindern fehlte es sicher nicht.«
    Er starrte auf die Tassen, die nebeneinanderstanden.
    »Aber dieses hatte ihr das Meer zurückgegeben.«
    »Dieses hatte einen Bruder!«, schrie ich und sprang auf.
    Ich konnte mich nicht mehr beherrschen. Ich fand alles so widerlich, so gemein.
    Er schwieg.
    Dann setzte er sich und nahm die Katze wieder auf seinen Schoß.
    »Sie lieben diesen Mann, nicht wahr?«
    Ich antwortete nicht.
    »Sie lieben ihn. Sie lieben ihn, aber Sie wissen es noch nicht.«
    Er trank einen Schluck Kaffee und sah mich an.
    »Was könnten Sie alles für ihn verschweigen? Bis zu welchem Punkt könnten Sie gehen?«
    Er wartete, dass ich antwortete.
    Ich dachte an dich.
    Ich wäre weit, sehr weit für dich gegangen, wenn ich dich hätte retten können. Vor den Chirurgen habe ich meinen Pullover hochgezogen, schneiden Sie mich auf … habe ich zu ihnen gesagt. Sie sollten alles nehmen, was nötig war, um dich zu retten. Sie haben gesagt, es würde dich nicht retten.
    Ich schaute aus dem Fenster.
    »Ich verurteile Sie nicht.«

    Er schloss die Augen.
    »Ich weiß.«
     
    Wie spät mochte es sein? Diese Nacht war lang, als sollte sie nie enden. Als würde es keinen anderen Morgen geben. Sogar die Katzen spürten, dass diese Nacht nicht wie die anderen war. Sie hatten sich lautlos auf den Stufen vor dem Haus versammelt. Sie kämpften nicht miteinander.
    Die Feuchtigkeit der Nacht ließ das Eisengeländer glänzen, auf das sich Théo stützte, wenn er ins Haus ging.
    War Lambert noch bei Nan? Vielleicht war er an Théos Haus vorbeigegangen, hatte das Licht gesehen, ohne zu ahnen, dass ich da war. Hatte er noch etwas anderes als das Register gefunden?
    Théos Augen waren immer noch geschlossen. Er war eingeschlafen, wie es Katzen machen. Plötzlich. Die Hände über dem Bauch gefaltet.
    Auf dem Büfett drehten sich die Zeiger der Uhr.
     
    Ich ging zur Griffue zurück. Ich schlief traumlos.
    Als ich aufwachte, war mein Kopf leer.
    Ich trank Kaffee, bis mir übel war.
    Im Zimmer eingeschlossen, im Angesicht des Meeres, wartete ich darauf, dass der Tag anbrach. Ich hörte das Angelusläuten, die drei langsamen, sich wiederholenden Schläge. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, an mein Wandern von einem Heim zur nächsten Familie, die ganze Zeit auf der Suche, wartend.
    Eines Tages verbrannte ich mein Bett, weil ich leben musste.
    Eines anderen Tages war ich dir begegnet, eine unwahrscheinliche Begegnung auf einem Dorfplatz, an einem Morgen. Es war kalt gewesen, es hatte einen Brunnen gegeben, der gefroren war. Du warst da gewesen. Ich hatte dich angesehen.

    Ich hatte gewusst, dass du derjenige warst, den ich treffen würde.
     
    Max weckte mich, indem er Steine gegen meinen Fensterladen warf.
    Er hatte eine verletzte Möwe in seinem Boot gefunden, deren Zunge von einem Angelhaken gespalten worden war. Ein Stück war abgerissen. Sie konnte sich nicht mehr ernähren, deshalb fing er ihr Fische. Er sprach mit ihr, wie er mit der Ratte sprach. Mit seinem Wörterbuchwortschatz.
    Die Möwe hörte ihm zu.
    Max sagte, er werde sie zähmen. Das sei einfach, man brauche nur Fisch und Wörter.
    Ich wusste nicht, ob sie auf dem Boot bleiben würde.
    Raphaëls Auto stand im Hof. Seit Morgane weg war, brachte er es nicht mehr ins Dorf. Es war ihm egal, dass es rostete.

I ch ging zu Fuß hoch ins Dorf. Der Audi stand am Straßenrand. Die Fensterläden waren geschlossen. Lili hatte es die ganze Zeit gewusst. Sie kannte das Geheimnis, wie auch die Mutter es kannte. Sie hatte diese Geschichte benutzt, um ihren Vater zu hassen.
    Ich legte die Hand auf die Türklinke. Ich hatte Angst hineinzugehen. Angst vor

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