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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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an.
    »Wissen Sie, ich hatte viele Schildkröten, ich habe sie alle Chelone genannt. Und ich habe immer Anzüge getragen. A bove ante, ab asino retro, a stulto undique caveto! Das müssen Sie ihnen erklären, wenn ihr Lachen Sie stört.«
    Er knallte die Tür zu, ließ den Motor an und drehte die Scheibe herunter.
    »Ich stelle mir gern vor, dass eine meiner Schildkröten ein Nachkomme von Chelone ist.«

     
    Bei Lili bestellte ich eine heiße Schokolade mit viel Zucker. Ich fühlte mich nicht wohl. Wegen Monsieur Anselme. Ich hatte Lust, rauszugehen und die Jugendlichen ebenso wütend mit Steinen zu beschmeißen wie Morgane die Wanderer.
    Ich tat es nicht. Ich trank weiter meine Schokolade. Am Tresen sprachen die Fischer vom Meer. Sie sagten, dass sie zum Fischen immer weiter rausfahren mussten, da die Kormorane die Fische fraßen. Das sagten sie wegen mir. Weil ich da war. Diese Fischer töteten die Kormorane. Das wusste ich. Sie kauften durchsichtige Netze. Die Fische sahen sie nicht und verfingen sich darin. Die Kormorane ebenfalls. Sie töteten sie zu Dutzenden, die schönen, in ihren Netzen gefangenen Vögel.
    Man müsse schließlich leben, sagten sie. Bald wurde mir das Gespräch zu viel.
    Ich hielt meine Schale in den Händen. Der warme Dampf und der Zucker beruhigten meinen Zorn. Meine steifen Glieder.
    Ich döste etwas ein.
    Ich nahm mir vor, mich bei Monsieur Anselme zu entschuldigen.
    Als ich den Kopf hob, blickte ich direkt auf die Fotos, die vor mir an die Wand geheftet waren, Fotos in Schwarz-Weiß, Bärenführer, Feuerspucker. Auch alte Postkarten vom einstigen La Hague. Lili erzählte, dass in ihrer Kindheit Gauklerfamilien aus dem Osten um das Kap gezogen waren, auf dem Weg in den Süden. Sie hatten auf dem Dorfplatz Halt gemacht. Manchmal kamen Touristen und wollten die Fotos kaufen, aber Lili verkaufte sie nicht.
    Früher hatte hier auch ein Foto von Prévert gehangen. Aber irgendjemand hatte es geklaut. Vermutlich ein Paar mit einer kleinen Tochter. Die kleine Tochter trank die Grenadine mit einem Strohhalm.

    Die Mutter saß immer neben der Fotowand.
    Lili besaß auch ein Buch mit einer Widmung von Prévert, es stammte aus der Zeit, als ihre Großmutter noch das Café geführt hatte. Das Buch lag in dem Schubfach unter der Kasse, neben dem Revolver. Monsieur Anselme hätte ihr dieses Buch gern abgekauft, aber auch das wollte sie nicht.
    Die Fischer unterhielten sich weiter. Sie waren lange vor mir gekommen, und sie würden lange nach mir gehen. Die Kormorane interessierten sie nicht. Nur das Meer zählte, dieses Meer, das sie so oft genommen hatten und das sie wieder nehmen würden. Sie sagten es so: Ein Meer nimmt man wie eine Frau! Dazu machten sie entsprechende Gesten, lachten über ihre Obszönität. Sie sprachen über junge Frauen; junge Frauen, die sie in der Stadt treffen würden. Frauen aus dem Osten, deren Hand ohne falsche Unschuld zupackte – das sagten sie und gaben ein bisschen an. Dann bestellten sie das nächste Bier.
    »Der Alkohol hilft beim Überwintern.«
    »Der Winter ist vorbei«, korrigierte Lili.
    Etwas später kam Lambert. Er sah abgespannt aus. Er ging an meinem Tisch vorbei, blieb für einen Moment stehen.
    »Guten Abend.«
    Seine Hand glitt über die Rückenlehne. Ich dachte, er würde sich setzen. Sein Pullover roch nach Feuer. Die Fischer sahen ihn an. Lili auch. Er setzte sich nicht.
    »Was lesen Sie?«, fragte er und zeigte auf das aufgeschlagene Buch vor mir.
    »Coetzee.«
    »Mmm … Und was erzählt Coetzee?«
    »Die Geschichte eines Lehrers, der sich in eine Schülerin verliebt. Es geht schlecht aus.«
    Er nickte. Seine Hand lag immer noch auf der Lehne.
    »Warum?«

    »Es liegt an dem Mädchen, sie ist nicht sehr aufrichtig und beschuldigt ihn der Belästigung.«
    Er nickte wieder, lächelte mich an und schob den Stuhl an seinen Platz zurück.
    »Na dann, gute Lektüre«, sagte er und nahm an einem anderen Tisch Platz, etwas weiter hinten. Ich weiß nicht, was er bestellte, weil sich Lili ihm gegenübersetzte und ich bald darauf ging.
     
    Am nächsten Tag sah ich Lambert wieder, er lehnte am Zaun, die Hände in den Taschen vergraben, er betrachtete das Bett, das bei der kleinen Bachstelze mitten im Hof stand. Es war ein altes Eisengestell. Im Sommer schlief der Hund darauf. Zusammengerollt. Im Winter legte er sich drunter, machte es zu seiner Hütte. Wenn es ganz kalt war, verzog er sich in die Scheune.
    Lambert holte einen Apfel aus der Tasche. Die Sau

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