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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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ihn noch?«
    Ich sah sie unter der dicken, trockenen Haut erröten.
    Sie packte ihre Handtasche, presste sie an sich. Ihre Hand auf der Lehne. Bereit zu gehen. Dorthin zurück.
    Ich hatte Lust, noch mehr von ihr zu erfahren, sie über diese spezielle Liebe auszufragen. Théo liebte sie nicht. Er hatte sie wohl nie geliebt.
    Aber sie …
    »Was haben Sie da drin?«, fragte ich und deutete auf die Tasche.
    Sie senkte den Kopf. Ihre Finger fummelten am Verschluss. Ungeschickte Gesten. Gesten von Frauen, von halb debilen, aber immer noch liebenden alten Frauen.
    Schließlich machte sie die Tasche auf und kippte deren Inhalt auf dem Tisch aus, ein Parfümfläschchen, Parfum de Paris , noch in der nachtblauen Schachtel. Ein Foto, sie zeigte es mir, darauf waren sie und Théo. Dann ein Kugelschreiber, ein Päckchen Tabak, ein Kellerschlüssel … Eine Metalldose, so groß wie eine Streichholzschachtel, in der Münzen klimperten. Das
waren noch Francs. Eine Haarsträhne, Lilis Haare, wie sie mir sagte. Das Foto war vor ihrem Haus aufgenommen worden.
    »Eine gute Zeit«, murmelte sie.
    »Weil Sie jung waren?«
    Sie sah mich an, wild, am ganzen Körper zitternd.
    »Weil ich bei ihm war!«
    Sie wühlte zögernd mit ihren Fingern herum. Wie lange hatte sie diese Tasche nicht mehr geöffnet?
    »Der Alte …«, flüsterte sie. Die Erinnerung kam in ihr hoch.
    Und plötzlich schob sie ihren Stuhl zurück. Die Lehne stieß gegen die Mauer, sie verlor sich in dem Gefängnis aus Beinen, denen des Tisches, denen des Stuhls, denen der Gehhilfe, an die sie sich klammern musste, um sich wenigstens bis zur Tür schleppen zu können. Ihr fehlte die Luft. Die Kraft. Der Körper kam nicht mal um den Tisch herum.
    »Dieses Dreckstück!«, sagte sie mit zusammengepressten Lippen, legte eine Hand auf ihr Herz und musste sich wieder setzen.
    »Dorthin kam sie, nachts …«
    »Von wem sprechen Sie?«
    Sie zeigte mit einem Finger in die Richtung von Lamberts Haus. Die Augen feucht.
    »Die Diebin …«
    »Gegenüber wohnt der Sohn der Peracks, erinnern Sie sich an ihn? Er kam immer in den Ferien.«
    Sie wollte schreien. Selbst die Stimme hatte keine Kraft mehr. Also fing sie zu jammern an.
    »Sie hat alle Spielsachen gestohlen. Sie hat gesagt, sie kommen aus dem Meer, aber das stimmt nicht. Ich weiß es, sie hat sie hier geklaut …«
    Aus Verzweiflung umklammerte sie meine Hand.
    »Sie hat mir alles genommen … Nicht mal die Hunde machen so was.«

    »Sie sprechen von Nan, stimmt’s?«
    Sie nickte. Ich sah sie an, ihr Gesicht wenige Zentimeter vor meinem, sie kämpfte mit ihrer Erinnerung, suchte daraus hervorzuholen, was sie mir sagen wollte.
    »Sie hat Sachen gemacht … Deswegen ist sie verrückt, man bezahlt immer …«
    »Was für Sachen?«
    Sie antwortete, einzelne Worte, die Kiefer zu fest zusammengepresst, und dann ein Strom von Sätzen, immer zusammenhangsloser, die davon handelten, dass das Meer nicht zurückgibt, dass es niemals zurückgibt.
     
    Ich hörte Lili auf dem Boden herumlaufen, wünschte, dass sie herunterkommen würde, überlegte, sie zu rufen. Ich packte die Sachen der Mutter wieder in die Tasche, stand schließlich auf, legte die Tasche auf ihre Knie, ihre Hände auf die Lehne.
    Als sie die Tasche spürte, verstummte sie. Ihr Blick wurde starr.
    Ich setzte mich wieder an meinen Platz am Fenster. Kurz darauf kam Lili, eine Wasserschüssel unterm Arm.
    »Sie hat rumgeschrien«, sagte ich und zeigte auf die Mutter.
    Sie zuckte die Schultern.
    »Um diese Zeit schreit sie ständig rum.«
    Hinter der Theke tauchte sie die Hände in Seifenwasser. Dann fing sie an zu reiben.
    »Wenn man ihr das Gebiss wegnimmt, schreit sie nicht mehr, aber sie saugt an ihrer Zunge, das ist auch nicht besser.«
    Der Geruch von gekochtem Kohl verbreitete sich im Saal. Nicht sehr angenehm. Ich hörte den Schnellkochtopf zischen.
    »Hast du keine Waschmaschine?«, fragte ich und zeigte auf den Haufen, den sie waschen musste.
    »Doch, aber ich mag sie nicht wegen so ein paar Sachen anwerfen. Hast du eine Maschine in der Griffue ?«

    »Ja.«
    »Und benutzt du sie?«
    »Natürlich.«
    Sie sah mich an. Ich spürte, dass ich schlecht aussah. Ich dachte an das, was mir die Mutter gesagt hatte. Hatte Nan in Lamberts Haus Spielzeug geklaut? Spielzeug … Was konnte es damit auf sich haben?
    »Was hat sie dir erzählt?«, fragte Lili und zeigte auf ihre Mutter.
    »Nichts … Wirres Zeug, ich habe nichts verstanden.«
    Sie legte ihr die

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