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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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fortwährender Arbeit … immer.«
    »›Fortwährende Arbeit‹, das ist es, und ich renne nachts mit einem Schmetterlingsnetz durch die Heide.«
    Max sah ihn erstaunt an.
    »Und was fängst du damit?«
    »Sterne …«
    Raphaël stellte sein Bier auf die Spüle und ging zur Tür. Als er am Tisch vorbeikam, hielt Max ihn am Ärmel fest.

    »Vielleicht müsste man sie töten.«
    »Wen töten?«
    »Die Schmetterlinge, wenn so viel Potenzialität in einem Flügelschlag ist.«
    »Potenzialität?«
    »Die Potenzialität des Orkans!«
    »Man muss auch nicht übertreiben.«
    »Man muss, was man muss«, antwortete Max mit gerunzelter Stirn.
    »Aber deswegen gleich Schmetterlinge töten!«
    »Und was machen wir nun?«
    Raphaël öffnete die Tür und blieb einen Moment stehen.
    »Wir machen nichts, Max … Wir sehen sie an.«
    Und dann, nach ein paar Sekunden, fügte er hinzu:
    »Schmetterlinge ansehen ist auch Glück.«
    Als er wieder zurückkam, legte er Max freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
    »Wir werden doch nicht das Glück töten, oder, Max?«

I ch verbrachte den Tag an der Steilküste von Jobourg. Ich hatte meine Felslöcher, Plätze, in denen ich mich verkriechen konnte. Ich hinterließ Spuren, die Abdrücke meiner Hände. Und andere Spuren, kleine Steinhaufen, angehäufte Erde. Kleine Holzstapel, wie Indianerzelte, wenn ich mich zu sehr langweilte, machte ich ein Feuer.
    Am Anfang kratzte ich manchmal deinen Namen in die Felswand.
    Ein paar Tage zuvor hatte ich Küken schlüpfen sehen. Nun sah ich sie wieder. Sie waren gewachsen. Ihr Körper war noch mit Flaum bedeckt, aber sie steckten den Schnabel aus dem Nest und verschlangen alles, was ihre Eltern ihnen brachten. Die Raben kreisten. Sie waren geduldig. Bei der kleinsten Unachtsamkeit griffen sie an.
    Am späten Nachmittag machte ich mich wieder auf den Weg zurück. Théo hielt nach mir Ausschau und winkte mich heran. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich ihn gebeten, mir von Nan zu erzählen, und er hatte wortlos den Raum verlassen.
    Nun wartete er auf mich.
    Er trug eine blaue Arbeitshose, eine blaue Jacke aus dickem Leinen, ein einziger Knopf war daran befestigt. Er führte mich ins Haus. In seinen Augen las ich fast etwas wie Ungeduld. Hatte
er befürchtet, ich würde nicht wiederkommen? Er stellte zwei Gläser auf den Tisch, dazu dicke Scheiben Brot.
    »Der Rückweg geht ganz schön in die Beine, was?«
    »Oh ja, das tut er.«
    Er holte einen Teller, auf dem er Käse angerichtet hatte. Meine Kehle war trocken, ich hatte Durst. Ich trank Wein. Ein ganzes Glas. Zu schnell.
    Draußen, hinter dem Fenster, maunzte eine Katze. Sie hatte eine Hautkrankheit, das Fell fiel ihr in Büscheln aus. Théo sagte, dass er irgendwann das Gewehr nehmen und sie töten würde.
    Das Gewehr stand in einer Ecke, zwischen Schrank und Wand. Die Patronen lagen in der Schublade. Sie töten, ehe sie die anderen mit der Krätze ansteckte. Es musste nur der richtige Tag sein.
    »Ich musste schon mal eine töten, wissen Sie …«
    »Was würden Sie tun, wenn Sie keine Katzen mehr hätten?«
    Er dachte über die Frage nach, nicht lange, und antwortete schließlich mit einem Schulterzucken.
    »Dann würde ich halt mit den Mäusen leben.«
    Wir sahen uns an und lachten. Es tat gut, dieses gemeinsame Lachen über eine Belanglosigkeit. Ich hatte das Gefühl, Théo so zu sehen, wie er vor langer Zeit gewesen sein musste, das kraftvolle Gesicht, als er noch jung war und Nan liebte.
    Dann hörten wir auf, aber wir hatten das Lachen noch in den Augen.
    Auf dem Tisch zitterte seine Hand, unkontrolliert in ihrer Bewegung. Draußen quakte es. Das war die Kröte, die neben dem Wasserbecken lebte. Théo erzählte mir, dass es früher eine gegeben hatte, die dort herumspukte. Eine Zeitlang hatte er brennende Kerzen auf den flachen Steinen gefunden, ohne zu wissen, wer sie anzündete.

    Er erzählte mir auch noch andere Geschichten, während das Kätzchen eingerollt auf dem Tisch schlummerte.
    Ich hörte das Ticken der Pendeluhr.
    Wir sprachen über Kormorane, über die Küken, die fast alle geschlüpft waren, und über die lauernden Raben.
    Er wollte wissen, welche Farbe die Küken hatten und wie groß die Nester waren. Darüber sprachen wir lange. Er wollte auch wissen, ob ich die Schlangen gesehen hatte.
    Die Käserinde häufte sich auf dem Tisch. Der Wein und auch das Lachen hatten mich erhitzt. Ich hätte mir gewünscht, dass unser Gespräch zu anderen Geständnissen führte.
    Das

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