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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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ist ein sehr intelligenter Vogel, man muss ihn lange beobachten, um ihn zu verstehen. Wenn man sein Nest bedroht, fliegt er mit hängendem Flügel auf, als sei er verletzt, und lässt sich auf den Strand niederfallen. Er schleppt sich
dahin, kleine, hilflose Hopser, das macht er, damit er zur Zielscheibe wird.«
    Seine Hände waren abgenutzt, rau von der Kälte, dem Salzwasser, den Einschnitten der Taue.
    »Diese ganze Komödie … Das ist ein seltenes und sehr bewundernswertes Verhalten bei Vögeln.«
    Eine kurze Regung ging über sein Gesicht.
    Ich sah aus dem Fenster.
    Draußen rissen die Wolken auf und ließen ein paar Sonnenstrahlen hindurch. Über dem Meer hatte der Himmel dieselbe graue Farbe angenommen wie das Wasser, als hätte sich eins ins andere ergossen, bis dieser düstere Ton herauskam.
    »Vögel zu zählen kann nicht Ihr Leben sein, oder? Erst recht nicht bei diesem Wind.«
    »Sie haben es doch auch gemacht!«
    Er lächelte, als wollte er sagen, das sei nicht dasselbe. Er streichelte immer noch das weiße Kätzchen.
    »Es trinkt nie mit den anderen. Wenn es Durst hat, maunzt es, und dann muss man ihm den Hahn aufdrehen.«
    Das Kätzchen öffnete die Augen.
    »Eine Hündin, die keine Jungen hatte, hat es der Mutter gestohlen. Die Hündin hat es im Maul herumgetragen und versorgt.«
    Er liebkoste das Kätzchen mit der flachen Hand.
    »Erst wollte ich das Kleine der Mutter zurückgeben, aber sie hatte noch sieben andere Junge. Und die Hündin hatte keins.«
    Ich fragte ihn, ob das die Sache gerechter machte, und sah, dass ihn meine Frage verwirrte. Er errötete leicht.
    Er antwortete nicht. Es war das erste Mal, dass zwischen uns so ein eigenartiges Schweigen entstand.
    Er legte seine Hände nebeneinander.

    »Dieser Typ, der sich hier herumtreibt, ist das der Sohn der Peracks?«
    Er sah mich an.
    »Was macht er hier?«
    »Ich habe keine Ahnung. Er will sein Haus verkaufen.«
    »Was wissen Sie noch?«
    »Nichts … Ich kenne ihn nicht.«
    Er griff nach der Brille, rückte sie auf der Nase zurecht. Dann lächelte er kurz.
    »Neulich waren Sie gemeinsam im Gasthof, so gegen elf. Sie saßen dort fast eine Stunde zusammen, und als Sie herausgekommen sind, sind Sie mit ihm am Strand spazieren gegangen.«
    Er zeigte auf das Fernglas, das auf dem Stuhl am Fenster lag.
    »Erzählen Sie mir nicht, dass sich das nicht gehört. Auch Sie beobachten die Leute mit dem Fernglas.«
    Ich wurde rot. Sehr rot.
    »Irgendwann muss ich Ihnen mal den wunderbaren Blick zeigen, den man aus dem Dachfenster hat.«
    Er nahm den Kopf des Kätzchens zwischen die Hände und streichelte ihn sanft.
    »Was hat er Ihnen erzählt?«
    Ich sah aus dem Fenster, blickte zum Baum im Hof, von dem Théo erzählte, er sei so alt, dass seine Wurzeln die Hölle berührten. Théo behauptete, wenn man einen Ast von diesem Baum absäge, fließe roter Saft heraus, der wie Blut aussehe.
    Er wiederholte seine Frage.
    Ich sah ihn an.
    »Lambert denkt, dass Sie Wache im Leuchtturm hatten, als seine Eltern umgekommen sind.«
    Er wusste, dass das nicht alles war.
    Er nickte.

    »Sie nennen ihn Lambert.«
    »Lambert Perack, so heißt er.«
    Er lächelte.
    Ich hatte Lust, ihm weitere Fragen zu stellen.
    »Kann es sein, dass das Licht eines Leuchtturms nachts ausgeht, ohne dass der Leuchtturmwärter es bemerkt?«
    Er blickte zu mir auf.
    »Fragen Sie das oder er ?«
    »Ich.«
    »Na gut, wenn Sie es sind … Nein, das kann nicht sein.«
    »Und wenn er gefragt hätte, was hätten Sie geantwortet?«
    »Wenn er gefragt hätte, hätte ich nicht geantwortet.«
    Er wandte den Kopf ab.
    »Hören Sie nicht darauf, was dieser Mann sagt. Sein Urteil ist falsch, er leidet.«
    »Nach so langer Zeit leidet man nicht mehr.«
    »Was wissen Sie denn davon?«
    Ich hatte das Gefühl, dass er log.
    »Gibt es Gründe, aus denen ein Leuchtturmwärter den Scheinwerfer ausschalten könnte?«
    Er lachte böse.
    »Keinen Grund. Die Kräfte des Meeres lenken den Leuchtturmwärter. Ansonsten kann nichts und niemand einen Wärter dazu zwingen, von dem abzulassen, was er zu tun hat.«
    Er sagte es sehr heftig, während er mit den Fingerspitzen auf den Tisch trommelte.
    »Wissen Sie, wenn man im Leuchtturm ist, geht es darum, das Meer anzustrahlen. Also tut man es. Man denkt an nichts anderes.«
    Ich fing an zu zweifeln. Ich spürte diesen Moment. Den Schatten zwischen uns.

    »Lambert ist älter, als sein Vater war als dieser starb. Er sagt, er sei auch deshalb wiedergekommen.«
    »Er

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