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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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weiße Kätzchen streckte eine Pfote aus und legte sie auf Théos Hand. Théo rührte sich nicht. Er sah es an.
    Auf dem Tisch lag die Zeitung. Auf der ersten Seite das Foto eines verschmutzten Strandes nördlich von Brest. Ölverschmierte Vögel. Ich zog die Zeitung zu mir und las den Artikel.
    Théo wartete, bis ich fertig war.
    »Vögel, die krepieren, habe ich reichlich gesehen, als ich im Leuchtturm war, nachts, wegen dem Licht … Bei Sturm hat der Wind sie gegen die Fenster geschleudert«, sagte er ganz leise.
    Meine Hand lag auf der Zeitung.
    »Die Nächte dort kann man sich nicht vorstellen. Manchmal war es die Hölle.«
    Er sah meine Hand auf dem Zeitungsfoto liegen, ein toter Vogel, man spürte förmlich, wie er stank.
    »Ich erinnere mich noch, wie sich die Strömung änderte. Die Wellen sahen aus wie Schlangen, wie aufgerissene Mäuler. Wenn es stürmte, drosch es von allen Seiten auf uns ein. Der Leuchtturm hat geschwankt. Oft habe ich gedacht, wir kommen nicht mehr lebendig raus.«
    Er sah mich an. Ganz kleine, tiefliegende, hell strahlende Augen.

    »Bei schönem Wetter haben wir bunte Tücher ans Fenster gehängt. Das war unsere Art, denen auf dem Festland Nachricht zu geben.«
    Seine Stimme zitterte.
    »Sind Sie lange im Leuchtturm geblieben?«
    »Eine Woche, manchmal zwei. Aber ich konnte auch länger bleiben, ich habe mich immer gemeldet, wenn jemand ausgefallen ist. Es ist oft jemand ausgefallen, vor allem im Winter.«
    Er strich mit der Handfläche über den Tisch.
    Licht fiel auf seine Hand. Sie sah aus wie gezeichnet. Auch sie erzählte von La Hague.
    »Wir wurden vom Boot aus versorgt. Manchmal konnten die Jungs wegen der Strömung nicht anlegen. Aber wir hatten Vorräte, Schiffszwieback, Fässer mit Wasser …«
    Er stand auf und ging zum Tisch in der Ecke, der ihm als Arbeitsplatz diente. Er zog ein Schubfach auf, wühlte mit beiden Händen in den Dokumenten, die sicherlich schon seit Jahren darin gestapelt waren, und zog das Foto einer Stute heraus, die La Belle hieß, wie er mir sagte.
    »Diese Stute gehörte dem Großvater meines Großvaters … Er hatte sie für den Bau des Leuchtturms vermietet. Monatelang ist sie in diesem Rad im Kreis gelaufen … Das Rad hat die Zugwinden bewegt, damit die Steine nach oben gehievt werden konnten.«
    Das Foto war am Leuchtturm aufgenommen worden, vor dem Rad. Neben dem Pferd stand ein Mann, darunter war ein Datum notiert: 1834.
    Théo nahm einen Bleistift vom Tisch und zeichnete das System der Zugwinde auf. Er schob mir die Zeichnung hin.
    »Die Stute ist so lange im Kreis gelaufen, bis der Leuchtturm fertig war. Als sie nicht mehr gebraucht wurde, hat man sie wieder auf ihre Weide gebracht. Doch es war zu spät …«

    »Zu spät?«
    »Sie war verrückt geworden.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Sie lief immer geradeaus, hat einfach einen Schritt vor den anderen gesetzt, so als ob sie sich noch in dem Rad befände. Sie blieb nur stehen, wenn sie gegen eine Mauer rannte. Dann hat sie sich kurz geschüttelt und ist in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Irgendwann ist sie schließlich zusammengebrochen. Man musste ihr den Gnadenschuss geben.«
    Er nahm mit dem Finger die Brotkrümel auf, die auf dem Tisch lagen, und schob sie zu einem kleinen Haufen zusammen.
    »Warum erzählen Sie mir das?«, fragte ich ihn. Diese Geschichte gefiel mir nicht.
    »Das muss man doch …«
    »Von wegen …«
    Er lächelte.
    Für einen Moment hatte ich noch die verrückt gewordene Stute vor Augen, die gegen die Mauern rannte.
    »Wie lange waren Sie als Leuchtturmwärter angestellt?«
    »Bis ’68.«
    »Und danach?«
    »Gab es Arbeit auf dem Hof. Die Mutter schaffte es nicht mehr alleine. Lili scherte sich nicht ums Vieh. Sie half damals schon im Bistro aus.«
    ’68 … Der Schiffbruch der Peracks war ein Jahr zuvor passiert. Hatte er deswegen aufgehört?
    »’68 waren Sie noch jung …«
    Er schob den kleinen Krümelhaufen zum Tischrand. Ein paar Krumen fielen auf den Boden. Eine Katze kam und schnupperte daran. Nicht hungrig genug, wandte sie sich ab.

    »Gab es andere Wärter nach Ihnen?«
    »Zwanzig Jahre lang, ja … Dann wurde der Leuchtturm automatisiert, und man brauchte keine Wärter mehr.«
    Ich sah ihn an. Ich wartete. Ich wusste nicht, ob ich noch weitergehen durfte. Ob ich es wagen durfte.
    »Haben Sie wegen dem Unglück aufgehört?«
    Er starrte einen Moment auf den kleinen Krümelhaufen, dann stand er auf und ging zum Fenster.
    »Im Zentrum

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