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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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nacheinander an – Lili, die Bachstelze und mich. Er sah auch die Mutter an, und dann hinüber zum Flipper, an dem Morgane klebte.
    »Es gefällt mir, wenn der Pfarrer, wenn er die Frage stellt und sie dann Ja antworten, erst die Frau und dann der Mann …«
    Seine Augen glänzten. Er richtete sich auf, ging zu Lili und nahm ihre Hand.
    »Ich heirate Morgane«, sagte er.
    Lili zuckte nicht mit der Wimper.
    Die Mutter machte den Mund einen Spalt weit auf. Sogar die Bachstelze zeigte ihr Interesse, indem sie sich von ihrem Heft abwandte, um die Fortsetzung zu hören.
    »Man heiratet nicht einfach so«, sagte Lili schließlich und hängte das Handtuch an seinen Nagel.
    Sie sah Max an.
    »Die Auserwählte muss erst mal damit einverstanden sein, verstehst du das? Und man ist ihr auch nicht böse, wenn sie Nein sagt.«
    Max verschränkte seine Finger ineinander, es sah aus, als würden sie miteinander ringen.
    »Wenn sie Nein sagt, wartet man«, nuschelte er.

    »Man wartet nicht«, sagte Lili.
    Max blieb hartnäckig.
    »Man wartet, und man liebt sie weiter!«
    Er schüttelte den Kopf.
    Im Fernseher zogen die Bilder vorbei. Bilder ohne Ton.
    Lili seufzte.
    »Nein, man versucht sich zu entlieben, und man sucht jemanden, der einen zurückliebt, das vereinfacht die Sache.«
    Max sah sich um, als suchte er an den Wänden eine Erklärung für das, was Lili gerade gesagt hatte.
    »Hier ist nur Morgane die Liebe!«
    Lili schwieg. Sie nahm ihre Arbeit wieder auf, und Max starrte ihren Rücken an.
    Er verzog das Gesicht. Mit den Zähnen packte er kleine Hautfetzen an seinen Nägeln und zog vorsichtig daran.
    Das machte er eine Weile, dann drehte er sich um und betrachtete die Bachstelze. Sie war an ihren Tisch zurückgegangen, zu ihrer Grenadine. Er folgte ihr, das Gesicht schon weniger traurig, neigte den Kopf zur Seite und streckte die Hand aus.
    »Darf ich das haben?«, fragte er und zeigte auf das Bonbon auf dem Tisch.
    Die Kleine sah ihn an und nickte.
    Bevor ich den Gasthof verließ, betrachtete ich das Foto: Lili in einem ganz einfachen Kleid, Federbetten, Théo und die Mutter. Ein Hund an einer Leine. Der kleine Junge, von dem sie gesprochen hatte, stand etwas im Hintergrund, als wäre er zufällig vorbeigekommen, vom Objektiv überrascht, die Hand erhoben, als wollte er gerade den Hund streicheln.
    »Wie alt warst du da?«, fragte ich.
    Lili drehte sich um.
    »Siebzehn …«
    »Und der kleine Junge, ist das dein Bruder?«

    »Ich habe keinen Bruder.«
    Sie hielt meinem Blick ein paar Sekunden stand, ohne die Miene zu verziehen.
    »Das war ein Junge, der in der Zuflucht untergebracht war«, sagte sie schließlich.
    Die Zuflucht , darüber hatte ich etwas in einer Zeitschrift gelesen, die bei Raphaël gelegen hatte.
    Ich stützte mich auf den Tresen.
    »Erzählst du mir davon?«
    »Was soll ich dir erzählen? … Das war ein Haus, in dem Waisenkinder aufgenommen wurden, die dann darauf warteten adoptiert zu werden. Ist schon lange geschlossen.«
    »Woher kamen die Kinder?«
    »Woher schon! Aus Cherbourg.«
    »Und wo war diese Zuflucht ?«
    »In La Roche.«
    Ich überlegte. Es gab nicht viele Gebäude in La Roche, die Waisenkinder aufnehmen konnten.
    »Meinst du das große Gebäude neben dem Haus von Nan?«
    »Das meine ich.«
    »Wer hat sich um sie gekümmert?«
    »Wer wohl?«
    Sie gab mir keine weitere Erklärung, aber ich verstand, dass sie Nan meinte.
    »Diese Fotos … alles alter Plunder«, sagte sie und zeigte zur Wand, »irgendwann muss ich sie mal austauschen.«
     
    Ich war auf dem Weg zur Steilküste oft an der Zuflucht vorbeigegangen, ohne zu wissen, dass es früher ein Waisenheim gewesen war. Ich hatte nicht darauf geachtet, und Théo hatte mir nichts davon erzählt.
    Ich blieb am Zaun stehen.

    Es war ein zweigeschossiges, langgestrecktes Gebäude mit dicken Mauern aus grauem Stein. In der Mitte des Hofes stand ein Baum. Das Grundstück war gepflegt, und das Dach schien in gutem Zustand zu sein, aber die Fensterläden waren alle geschlossen. Nans Haus befand sich ganz am Ende des Gebäudes, die Wände von demselben Grau, die gleichen Fensterläden, nur das Dach war niedriger.
    Auf dem Gartenmäuerchen wuchsen kleine blaue Blumen, die Wurzeln hatten, aber kaum Erde. Und etwas Moos. Einige Farne leuchteten smaragdgrün. Ich hatte Lust, das Gartentor zu öffnen und Nan zu besuchen, damit sie mir von der Zuflucht erzählte, als dort noch Kinder wohnten.
    Ich wusste nicht, ob sie da war. Ihre Haustür war

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