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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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steht immer der Leuchtturm. Erst danach kommt das, was das Leben der Menschen ausmacht.«
    Ich dachte, er würde noch etwas ergänzen und dieses Etwas hätte einen Bezug zum Tod der Familie Perack.
    Aber er sagte nur: »Manchmal, wenn ich morgens aufwache und ein starker Wind bläst, denke ich, ich bin noch dort.«
    Gab es überhaupt etwas zu ergänzen? War die Zeit reif dafür?

D er Himmel war drückend. Seit drei Tagen war es so, ein Raum ohne Licht, von schwerem Schweigen erfüllt, das die Anwesenheit der Menschen unerträglich machte. Ich war müde. Unfähig, noch weiter zu laufen. Die Heide noch länger zu ertragen.
    Ich schleppte mich zu Lili, lustlos, mehr aus Gewohnheit.
    Als ich das Bistro betrat, kletterte die Bachstelze gerade auf einen Stuhl und sah sich die Fotos an, die an der Wand hingen. Lili hatte ihr ein Glas Milch hingestellt. Mit dem Finger folgte die Kleine den Umrissen jedes Fotos.
    Lili stand neben ihr und erklärte:
    »Dieser Köter da war der hässlichste von allen, aber die Weibchen waren alle in ihn verliebt. Er hatte Hunderte Kinder. Alle Hunde von La Hague sind seine Kinder.«
    Die Kleine sah Lili mit großen, staunenden Augen an.
    »Auch mein Hund?«
    »Alle, sage ich dir.«
    Die Kleine betrachtete genau die Physiognomie dieses seltsam hässlichen Hundes.
    »Ist er tot?«
    »Tot? Warum sollte er tot sein? Nein … Er ist irgendwo, weggelaufen, niemand weiß wohin.«

    »Kommt er irgendwann wieder?«
    »Irgendwann … Kann schon sein.«
    Lili schaute zum Foto.
    »Kann auch sein, dass er nicht wiederkommt. Das kann man nie wissen.«
    Die Kleine nickte und zeigte mit dem Finger auf ein anderes Foto.
    »Und diese Dame da, wer ist das?«
    »Meine Mama … Das ist lange her.«
    Die Kleine drehte sich um. Die Mutter saß in ihrem Sessel. Sie musterte sie, wie vorher den Hund.
    Zur Mutter sagte sie nichts.
    »Und der Mann da, ist das dein Papa?«
    »Ja. Und das bin ich.«
    Lili richtete sich auf und zeigte auf das Glas.
    »Trink mal, solange sie frisch ist.«
    Die Kleine zeigte weiter mit dem Finger auf das Foto.
    »Und der, wer ist das?«
    »Wer, der?«
    Lili beugte sich zu ihr vor.
    »Ein kleiner Junge, der hin und wieder mal zu uns kam, um mit den Tieren im Stall zu spielen.«
    »War er nett?«
    »Ja …«
    »Hat er mit dir gespielt?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Lili zögerte.
    »Ich war älter als er.«
    »Und wo war seine Mama?«
    »Ich weiß nicht. Er hatte keine Mama.«
    Die Kleine runzelte die Stirn. Das Gesicht wurde plötzlich ernst.

    »Wie hieß der Junge?«
    »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Hatte er keinen Namen?«
    »Doch, er hatte einen … Alle Kinder haben einen Namen.«
    Lili wandte sich vom Foto ab, dann sagte sie:
    »Michel … Er hieß Michel.«
    Sie ging hinter den Tresen, räumte zwei, drei Sachen auf und verschwand schließlich eine Weile in der Küche. Ich hörte das Geschirr klappern.
    Michel … Das war der Name, den Nan am Tag des Unwetters immer wieder ausgesprochen hatte, als sie sich Lamberts Gesicht genähert hatte, weil sie glaubte, ihn wiederzuerkennen. Derselbe Name, war das Zufall? Das Foto war zu weit von meinem Tisch entfernt, als dass ich das Gesicht des Kindes hätte erkennen können.
    Die Kleine kletterte von ihrem Stuhl und kramte ein in glänzendes Papier gewickeltes Bonbon aus der Tasche. Sie legte es auf den Tisch.
    Dann kam sie zu mir.
    »Ich möchte meine Schreibübung machen …«, flüsterte sie mit ihrer eigenartigen, zurückhaltenden Stimme.
    Sie streckte mir den Bleistift hin, ich schrieb: Lilis Hund ist ein Goublin geworden.
    Dann war sie an der Reihe. Als sie den Stift ansetzte, brach die Mine ab.
    »Drück nicht so stark auf …«
    Sie fing wieder von vorn an.
    Beim dritten Mal verschrieb sie sich, sie schrieb: Lilis Goublin ist ein Hund geworden . Sie lachte laut. Ich lachte mit. Lili war immer noch in der Küche. Die Mutter drehte den Kopf. Die Kleine und ich versteckten unser Lachen hinter der Hand.

     
    So fand uns Max, beide lachend.
    »Im Dorf wird Hochzeit gefeiert«, sagte er und stützte sich auf den Tresen.
    »Na und?«, fragte Lili.
    »Ich geh nicht hin … Wegen dem Pfarrer … Nicht mal zum Blumen verteilen darf ich da sein, nur die Wanderung der Brautleute fegen, das lässt er mich, und dann komm ich wieder, wenn sie alle weg sind!«
    Er verzog das Gesicht.
    »Hochzeit ist zwar nicht so traurig wie Grablöcher, aber es macht genauso viel Weinen.«
    Er rieb seine Hände aneinander und sah uns alle

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