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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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nicht, von welchem Licht er sprach. Ich machte einen Schritt und streckte die Hand aus.
    »Es ist nur die Nacht«, sagte er.
    Ich streckte die Hand noch weiter aus. Plötzlich spürte ich seine Finger, seine Hand, die meine umfasste, mich weiterzog. Die Kälte seiner Jacke empfing mich wie eine Ohrfeige. Es dauerte nicht lange, einen Moment, ein paar Sekunden, ich sog den Geruch ein, dann lösten wir uns verschämt voneinander, ohne uns anzusehen. Der Wind bewegte das Gras. Die Luft roch nach Pfeffer. Das kam von den kleinen weißen Blüten, die sich bei Einbruch der Dämmerung öffneten und dieses berauschende Aroma verströmten.
    Der Duft nach Pfeffer mischte sich mit dem Geruch des Leders.
    »Ihre Zähne klappern.«
    Ich presste die Kiefer aufeinander. Er drehte sich um. Die Sterne glänzten über uns, Milliarden kleine Lichter.
    »Schön, die Normandie …«, sagte er.
    »Wir sind in La Hague.«
    »Und? Liegt La Hague nicht in der Normandie?«
    »La Hague ist La Hague.«
    Er machte zwei Schritte.
    »Sie frieren ja.«

    Er knotete das Tuch um seinen Hals auf und kam zu mir zurück.
    »Glauben Sie, man kann noch irgendwo einen Kaffee trinken?«
    »Bei Lili.«
    »Auch noch woanders?«
    »Um diese Zeit nur noch bei Lili, oder gar nicht.«
    Er band mir das Tuch um den Hals.
    Ich fragte ihn, ob er damals, als er jung gewesen war, in Lili verliebt war. Ich hatte das Gefühl, dass er lächelte.
    Er antwortete nicht.
    Ein Nachtvogel zog flügelschlagend an uns vorbei. Ich hörte das Rauschen seiner Federn. Wenn die Nester nicht mehr genutzt werden, kann man sie mitnehmen … Ich hatte mehr als dreißig. Dreißig Nester in sechs Monaten. Ich hatte sie in eine Kiste gelegt. Manchmal holte ich sie heraus und sah sie mir an.
    Das Meer war zu weit. Zu schwarz. Und wir waren zu allein. Deshalb gingen wir ins Dorf zurück. Hinter einem Fenster bewegte sich ein Vorhang, dahinter war eine Silhouette zu erkennen. Alles, was sich auf der Straße ereignet, sieht das Dorf. Niemand entgeht dem Gerede.
    Der Audi war etwas weiter oben geparkt. Er machte die Tür auf. Wir sahen uns an.
    »Angeblich baden manche Leute in Port-Racine das ganze Jahr hindurch«, sagte er und stieg ein. Ich hörte das dumpfe Klacken der Tür, als sie sich schloss. Es war ein sanftes, sehr gedämpftes Geräusch. Ich stellte mir den Menschen vor, der dieses Geräusch erfunden hatte.
    Lambert ließ den Motor an. Er wartete, beide Hände am Steuer.

     
    Er lenkte mit einer Hand, die andere lag auf der Armstütze an der Tür. Ich wusste nicht, wohin er fuhr. Ich fragte ihn nicht.
    Er fuhr. Ich war bei ihm.
    Diese Nacht war seltsam.
    »Haben Sie Ihr Haus verkauft?«
    »Noch nicht.«
    Er fuhr etwa einen Kilometer, durchquerte das Dorf Saint-Germain. Dann sah er mich an.
    »Meine Mutter sagte, ich sei ein Kind der Liebe. Liebe und Tod. L’ amour , la mort , das klingt ähnlich, wenn man ein bisschen nuschelt …«
    Er sah wieder auf die Straße.
    »Bei Ihnen kommt es mir auch immer vor, als würde ich Sie nicht verstehen.«
    Er schaltete die Scheinwerfer aus und wieder ein. Das machte er mehrmals. Wenn sie aus waren, fuhr er durch die Dunkelheit. Das schien ihm zu gefallen.
    »Das ist eine Nacht, in der alles möglich ist«, murmelte ich.
    Er lächelte.
    Er bewegte sich langsam, wie jemand, der alle Zeit der Welt hat. Er schien es weder eilig zu haben, sein Haus zu verkaufen, noch abzureisen. Am Tag des Sturms hatte er gesagt: »Ich bleibe für ein, zwei Tage«, aber er war immer noch da. Auf der Durchreise.
    Plötzlich bremste er und streckte die Hand aus.
    »Sehen Sie!«
    Die Bucht Saint-Martin strahlte in der tiefschwarzen Nacht, es war ein besonderes Licht, das aus dem Wasser kam. In dieser menschenleeren Nacht schien das Meer plötzlich uns zu gehören. Lambert lenkte das Auto langsam die gewundene Straße hinunter.
    Er parkte auf dem Seitenstreifen.

    Er stieg nicht gleich aus, sondern sah durch die Windschutzscheibe auf den Strand, aufs Meer. Dann öffnete er die Tür.
    »Kommen Sie mit?«
    Ich nickte.
    Wir standen draußen, für einen Moment nebeneinander. Er mit verschränkten Armen.
    Er lächelte freundlich.
    »Hören Sie auf, mit den Zähnen zu klappern, sonst fallen sie Ihnen noch aus.«

E r warf sich ins Wasser wie ein wütendes Tier. Ich konnte ihn nicht mehr sehen, aber ich hörte ihn, seinen Atem, wie er Luft holte, um gegen die Kälte zu kämpfen, und den heftigen Schlag seiner Arme, die das Wasser teilten. War er nackt? Er hatte sich zu mir

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