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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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hatten, war gestorben. Théo hatte sie steif im Graben hinter seinem Haus gefunden. Als ich zu ihm kam, war er gerade bei ihr. Das Tier hatte eingefallene Flanken, schon ausgehöhlt vom Tod, der sich seiner bemächtigt hatte. Ein kleines Stück rosa Zunge schaute zwischen den Zähnen hervor.
    Théo hob die Katze hoch.
    »Gift. Es gibt Leute, die tun so was.«
    Das Maul stand offen. Ein bisschen Speichel, zu gelber Kruste getrocknet, klebte im Mundwinkel. Das Auge starrte in eine Ecke des Hofes.
    Théo trug das Tier hinters Haus an den Rand der Wiese, dorthin, wo er alle anderen Katzen begraben hatte. Ein von großen Bäumen geschützter Ort. Ein Platz mit Moos und Farnen.
    Die beiden Kater folgten ihm. Sie liefen Seite an Seite. Fast Flanke an Flanke.
    Ich ging ein paar Schritte hinter ihnen.
    Théo legte die Katze ins Gras und krempelte die Ärmel hoch.
    »Seit Ewigkeiten begrabe ich sie …«
    Er hob ein Loch aus. Unter dem Gras war die Erde dunkel, fast schwarz. Lockere, feuchte Erde.

    Die beiden Kater saßen nebeneinander, ganz aufrecht, in gleicher Entfernung zu der Katze. Sie folgten mit den Augen den Bewegungen der Hacke, dem kleinen Erdhaufen, der vor den Füßen des Alten wuchs.
    Als das Loch tief genug war, sah Théo sie an. Er sprach ein paar Worte in seinem rauen Dialekt, nahm die Katze und warf sie ins Loch. Dann füllte er es mit Erde und drückte den kleinen Hügel mit der Hacke platt. Währenddessen rührten sich die Kater nicht. Sie blieben neben dem Grab sitzen.
    Ich ging mit Théo zum Haus zurück. In der Küche stopfte er den Ofen mit Holzscheiten voll, die dort aufgestapelt lagen. Seine Bewegungen waren langsam.
    Ein Block mit Briefpapier lag aufgeschlagen auf dem Tisch, darauf ein Kugelschreiber. Der Briefbogen zur Hälfte in Schönschrift beschrieben. Daneben der Brief, den Théo beantwortete. Dieser Brief war offen, der Umschlag lag daneben.
    Théo schob den Brief an den Rand des Tisches, und wir sprachen über die Katzen.
    Dabei tranken wir Wein.
    Ich fragte ihn, ob er sich an jemanden erinnere, der Däumling genannt worden und der ein Freund, ein Schulkamerad von Max gewesen war.
    Er schüttelte den Kopf, sagte, dass er sich nicht erinnere.
    Er log.
    Wir wechselten das Thema.
    Als ich ging, saßen die beiden Kater immer noch neben dem Grab. Sie drehten nicht mal die Köfpe, als Théo sie rief, um ihnen die Fressnäpfe zu zeigen.

M onsieur Anselme hörte mir zu, die Ellbogen auf dem Tisch, das Gesicht zwischen den Händen.
    »Und was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich bin zur Steilküste gegangen.«
    Er lächelte mich an.
    »Gott wird sich wundern, Sie so oft dort zu treffen.«
    Er beugte sich vor, zog den Vorhang beiseite und sah hinaus auf den hellen, wolkenlosen Himmel. Er sagte, es sei ein guter Tag, um zum Semaphor zu gehen.
    »Wollen wir nicht zum Baum von Prévert spazieren? Das ist so ein besonderer Baum! Jacques liebte ihn sehr. Er wäre glücklich zu wissen, dass noch jemand ihn besucht.«
    Ich war einverstanden.
    Als wir hinausgingen, nahm er meinen Arm.
    Am Ende des Wegs improvisierten drei Mädchen einen Kreistanz. Sie hatten ihre Puppen in die Mitte des Kreises gesetzt und drehten sich mit kleinen Wechselschritten, erst in die eine Richtung, dann in die andere.
    Wir blieben stehen, um ihnen zuzusehen.
    »Prévert liebte Kinder sehr. Ich finde sie etwas laut …«
    Die Mädchen drehten sich weiter.

    Dreht euch, dreht euch, Mägdelein,
dreht euch rund um die Fabrik,
bald schon sollt ihr drinnen sein,
habt ein Leben lang kein Glück,
und viele Kinder obendrein.
    Wir überquerten die Straße.
    Die Fensterläden von Lamberts Haus standen offen. Den Audi hatte er etwas weiter unten geparkt. Monsieur Anselme folgte meinem Blick.
    »Dieser Lambert ist ein komischer Kauz, finden Sie nicht? Er müsste wegfahren, aber er fährt nicht. Lili weigert sich, darüber zu reden. Was halten Sie von ihm?«
    »Ich kenne ihn kaum …«
    Er drückte meinen Arm.
    »Das ist sehr gut. Es ist niemals ratsam, sich allzu gut zu kennen.«
    Wir gingen weiter.
    »Mein Nachbar in Omonville, der mit dem Notar aus Beaumont befreundet ist, hat mir erzählt, dass Lambert ein ganz hübsches Sümmchen für sein Haus verlangt. Was wiederum verständlich ist, immerhin liegt es nur zwei Schritte vom Meer entfernt. Auch wenn das Dach neu gemacht werden muss, die Pariser sind wohl bereit, jeden Preis dafür zu bezahlen. Hat er Familie?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Monsieur Anselme blieb stehen. Er sah mich an,

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