Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
zögerte einen Moment und setzte dann seinen Weg an meiner Seite fort.
    »Man hat Sie mit ihm spazieren gehen sehen, man hat mir gesagt, dass Sie mit ihm zusammen an der Steilküste waren. Bringt er Sie zum Lachen?«
    Er grub seine Stockspitze weit vor sich in den Boden.

    »Denn ein Mann, der eine Frau nicht zum Lachen bringt … Und die Partie Mensch-ärgere-dich-nicht, wie ist sie ausgegangen? Hat er Sie gewinnen lassen?«
    »Wir haben die Partie nicht beendet.«
    Er dachte über das nach, was ich gesagt hatte.
    »Wissen Sie, manchmal habe ich unendliche Mühe, die unterschiedliche Empfindsamkeit unserer beiden Generationen zu begreifen.«
    Wir bogen nach rechts auf den Weg ab, der zum Semaphor führte. Hier gab es keine Häuser mehr, nur noch Wiesen. Ein paar Kühe hatten den Blick zum Meer gewandt und genossen die Sonne. Die Brise war immer deutlicher zu spüren, je näher wir dem Wasser kamen.
    »Dieser Mann ist langweilig, und trotzdem gefällt er Ihnen …«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er mir gefällt.«
    Er drückte meinen Arm.
    »Nein, in der Tat, Sie haben es nicht gesagt, aber es ist so.«
    Am Semaphor schlugen wir einen kleinen Sandpfad entlang der Küste ein.
    »Aber ärgern Sie sich nicht darüber, seine Gefühle kann man sich nicht aussuchen. Sehen Sie nur, wir sind angekommen! Dieser Baum ist der Baum von Prévert.«
    Er zeigte mir einen kleinen, traurigen Baum, der so verkrüppelt wuchs, dass er keinen Stamm zu haben schien.
    Monsieur Anselme war stolz.
    »Na, wie finden Sie ihn? Ist er nicht schön?«
    Ich ging näher an ihn heran.
    Der Baum war krumm gewachsen. Er schien die Blätter auf der Seeseite geopfert zu haben, damit die anderen leben konnten, die sich auf der Landseite mühsam an die Äste klammerten.

    »Sie haben Recht«, sagte ich leise, »seine Gefühle kann man sich nicht aussuchen.«
    Er nahm meine Hand und ließ mich den Stamm berühren. Der Baum war abgemagert. Er zeigte mir die Blätter, die Knospen, dann drückte er seine Hände an die Rinde.
    »Bäume sterben, andere wachsen, manche bleiben.«
    Er hörte das Herz des Baumes schlagen.
    Schließlich setzten wir uns auf einen Stein, mit dem Rücken zum Stamm. Wir saßen in der Sonne, vor uns das Meer. Eine Eidechse wärmte sich auf einem Stein. Dicht neben ihr sammelte ein kleiner blauer Schmetterling in einem Blumenbusch Nektar. Sein dunkler Rüssel bohrte sich wie eine Kanüle in die Blüten. Die Eidechse sah ihm zu. Die Blüten waren blassgelb.
    Monsieur Anselme betrachtete abwechselnd die Eidechse und den Schmetterling.
    »Kürzlich aß ich bei Ursula Dimetri zu Abend. Sie ist eine sehr gute und alte Freundin, die in einem entzückenden Haus auf der Anhöhe hinter der kleinen Bucht von Saint-Martin wohnt.«
    »Hat sie früher als Köchin in der Zuflucht gearbeitet?«
    »Kennen Sie sie?«
    »Ich habe bei Théo ein Foto von ihr gesehen.«
    Er nickte.
    »Wir haben uns über dies und jenes unterhalten, Sie wissen ja, wie so eine Plauderei verläuft, und irgendwann kamen wir auf Sie zu sprechen. Ursula hat gesagt, sie habe Sie bei Nan im Hof sitzen gesehen …«
    Er atmete mehrmals tief die Meerluft ein.
    »Wobei Nan nicht ihr richtiger Name ist … Sie heißt eigentlich Florelle, aber das wissen Sie wohl schon. Unwichtig.«
    Die Eidechse hatte sich dem Schmetterling genähert. Mit langsamen Bewegungen hob sie erst einen Fuß, dann einen anderen,
ihre Farbe verschmolz mit der des Felsens. Sie starrte auf ihre Beute.
    Es war absehbar, was passieren würde.
    Ich ließ den Schmetterling nicht aus den Augen.
    Monsieur Anselme seufzte.
    »Eine Regung von uns reicht, nicht wahr, nur eine kleine Bewegung, der arme Schmetterling fliegt davon, und sein Leben ist gerettet.«
    Er pflückte eine kleine Blume, die zwischen anderen am Fuß des Baumes wuchs.
    Die Natur hat kein Gewissen, dachte ich, das unterscheidet sie von uns. Monsieur Anselme drehte die Blume zwischen seinen Fingern.
    »Der Mensch tut etwas, und oft bereut er es hinterher. Diese Blume zum Beispiel, ich hätte sie nicht pflücken sollen … Es gibt keine Vase für Blumen dieser Größe, und selbst wenn, stellt man doch keine einzelne Blume in eine Vase.«
    Er sah auf die Blume herab. Im nächsten Augenblick setzte die Eidechse zum Sprung an. Sie riss das Maul weit auf, packte den Schmetterling und zerbiss ihn. Die blauen Flügel bewegten sich noch einen Moment lang.
    Wir sahen der Eidechse zu, bis sie alles verschlungen hatte.
    »Sie sprachen von Nan …«
    »Nan, ja,

Weitere Kostenlose Bücher