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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Geruch des Stroms drang bis hierher, gemischt mit dem leichten Duft von nasser Erde und von warmem Essen, der von der vielleicht fünfhundert Schritt entfernten Stadt zu ihnen herüberwehte; der Geruch einer großen Menge Wasser, das durch fruchtbare Ländereien läuft und von allem einen Teil mit sich trägt – Erde ebenso wie Stein, Gräser ebenso wie Holz, lebendes und totes Material, Fisch und Tang … Lorenzo war überrascht. Die Bäche seiner Heimat hatten nach nichts gerochen und nach Frische und Kälte geschmeckt; der Arno hatte südlich von Florenz ebenfalls kein Aroma besessen und westlich von Florenz nach Kloake geduftet. Der Geruch des Stroms hingegen war mächtig und besaß von Edlem und Widerwärtigem in gleichem Maß. Der Damm, der ihn hinter Revere zu zähmen versuchte, war so gewaltig, dass Lorenzo danach verlangte, den Fluss zu sehen, der einen solchen Damm brauchte, um halbwegs friedlich zu bleiben. Ohne auch nur den kleinsten Blick darauf geworfen zu haben, schien es ihm, als könne er Cortos Sehnsucht verstehen.
    Er wandte sich zu Enrico um, der neben ihm ebenso flach ins hohe Gras gepresst lag und die Mauern der Stadt betrachtete.
    »Die Stelle, an der Corto uns treffen will, liegt westlich von Revere?«
    Enrico nickte. »Stromaufwärts. Richtung Mantua, aber abseits aller bekannten Straßen.«
    »Wie weit ist es noch?«
    »Eine Stunde, wenn wir schnell sind.«
    Lorenzo nickte. Seine Beine waren wie aus Blei, und sein Körper schmerzte. Er fragte sich, wie den Dörflern zumute sein musste, wenn er sich schon so erschöpft fühlte. Enrico war blass und hatte Augenringe.
    »Die Vesper ist vorbei«, sagte Lorenzo. »Wann machen die guten Leute hier die Tore zu?« Er verfolgte den Gang eines Wächters auf der Stadtmauer, der sich als kleiner Schatten auf dem Kamm der großen dunkelroten Fläche der Mauer abzeichnete. Weitere Schatten – noch kleiner – patrouillierten auf der Krone des Damms.
    Enrico antwortete nicht. Lorenzo seufzte.
    »Wir warten bis Torschluss«, sagte er schließlich. »Ich will nicht riskieren, dass am Ende ein übereifriger Stadthauptmann seine Männer rausschickt, um uns genauer in Augenschein zu nehmen, selbst wenn wir nur an der Stadt vorbeiziehen. Lassen wir’s noch ein bisschen dämmriger werden.«
    »Ich kenne den Treffpunkt nicht genau«, warnte Enrico. »Wenn es zu dunkel wird, finde ich ihn nicht.«
    »Wir kriegen unsere Gruppe auch nicht noch einmal durch die Finsternis, das ist mir klar.«
    Enrico betrachtete Lorenzo, als dieser sich umdrehte. Lorenzo lächelte, und über Enricos Gesicht huschte das kurze Licht einer Antwort. Sie maßen sich gegenseitig.
    »Es ist schon ein Glück, dass wir sie bis hierher gebracht haben«, sagte Lorenzo nach ein paar Augenblicken. »Danke für deine Hilfe.«
    Enrico nickte würdevoll. »Ich sage den Leuten Bescheid. Wartest du hier, bis es so weit ist?«
    »Ja. Ich gebe euch Signal.« Lorenzo tat einen Moment lang so, als müsse er nachdenken. In Wahrheit hatte er schon seit Langem geplant, was er als Nächstes tun würde. »Schickst du mir Schwester Magdalena her?«
    Enricos Augenbrauen wanderten nach oben.
    »Wenn’s brenzlig wird, laufen die Leute eher ihr hinterher als dir oder mir oder Urso. Ich möchte ihr mitteilen, was wir vorhaben.«
    Enrico kroch zurück, bis er offenbar das Gefühl hatte, gefahrlos aufstehen und gebückt davonhasten zu können. Die Bürger von Revere hatten die Fläche um ihre Stadt herum gerodet, um einem eventuellen Feind weder Belagerungsmaterial noch Deckung zu bieten. Erst in einiger Entfernung von der Mauer hatten sie struppiges Buschwerk stehen lassen. Dort hatten Lorenzo und Enrico den Rest ihrer Truppe zurückgelassen, während sie kundschaften gegangen waren. Lorenzo wandte sich wieder dem Anblick der Stadt zu, die sich an den Damm kauerte, aber er sah sie nicht. Er versuchte sich auf das Gespräch mit Schwester Magdalena vorzubereiten, ein Gespräch, das er fürchtete.
    Er war ratlos, was es mit der jungen Frau auf sich hatte. In vielem konnte man ihr ansehen, dass sie den Großteil ihres Lebens hinter Klostermauern verbracht hatte. Andererseits war die Naivität, die sie deshalb teilweise an den Tag legte, von einem beinahe ängstigenden Zynismus durchzogen, als wären ihre Tage im Kloster zwar beschützt, aber nicht behütet gewesen. Dann war da diese offenkundige Fähigkeit, einem ins Herz blicken zu können. Das Problem war nur, dass man es ihr, wenn es ihr gelang, sofort anmerkte,

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