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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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bauen?«
    »Ich sagte Ja«, erklärte Lorenzo. »Wenn ich einen älteren Bruder gehabt hätte, hätte er so sein müssen wie Martino. Wenn ich ein Knabe gewesen wäre, hätte ich mir gewünscht, dass Martino mein Vater sei. Ich sagte: ›Ich folge dir überallhin; nur wenn’s um den Tod geht, laufe ich dir voran.‹ Ich meinte es. Ich dachte, einen Pfeil oder einen Bolzen für ihn abzufangen oder auch nur für ihn am Galgen zu hängen, damit er fliehen könnte, wäre mein höchstes Lebensziel.«
    Doch Martino war nicht mehr der, der er gewesen war. Bei ihrem ersten Überfall auf Schweinehirten, die ihre Tiere auf den Markt trieben, nahm Martino nicht nur das halbe Dutzend Tiere, das sie für ihre Verpflegung haben wollten, sondern packte plötzlich seinen Spieß und rammte ihn einem weiteren Tier durch den Leib … und noch einem … und noch einem … Die Schweine wälzten sich quiekend und sterbend im Straßenschlamm, und einer der Hirten warf sich dazwischen. Martino stieß mit dem Spieß zu. Der Mann konnte den Stich ablenken, und statt durch seine Gedärme fuhr er durch seinen Oberschenkel. Sie ließen drei umsonst getötete Schweine und einen stöhnenden und fluchenden Mann in ihrem Blut auf der Straße zurück und schauten sich gegenseitig verstört an, als sie hinter Martino her davonrannten.
    »Es hat bei vielen Überfällen Tote gegeben«, sagte Lorenzo. »Nicht immer nur auf der Seite derer, die wir überfallen haben. Wer sich wehrte, wurde niedergekämpft. Manchmal waren unsere Gegner jedoch geschickter als wir, und das eine oder andere Mal mussten wir unser Heil auch in der Flucht suchen, ohne Beute zu machen. Aber die sinnlose Brutalität, mit der Martino die Viecher abzustechen begann und dann auf den Hirten losging, der ein ebenso armes Schwein wie wir war … Und es wurde schlimmer. Ein paar von uns sahen dabei zu, die meisten machten mit, aber keiner schritt ein.«
    Magdalena legte ihm eine Hand an die Wange, eine Geste, die sie vermutlich schon tausendmal vollführt hatte, um Beladene zu trösten oder Weinende zu beruhigen. Die Berührung schickte einen Strom aus Wärme über Lorenzos kalte Haut. Er ergriff Magdalenas Hand und drückte sie in einer Faust, die ebenso kalt war; ihre warme Hand in seiner fühlte sich heiß an.
    Ein Überfall auf Pilger, von denen einer zu Pferd war und von Leibwächtern umringt: Martino brachte einen der Leibwächter um, als diese sich schon ergeben hatten, dann prügelte er auf den reichen Pilger ein, der flehend die Hände erhoben hatte, bis die anderen Pilger die Nerven verloren und schreiend davonliefen und Martino dadurch ablenkten; er schickte ihnen einen Armbrustbolzen hinterher, der nur deshalb nicht tödlich traf, weil Martino ein miserabler Schütze war.
    Lorenzo sah sie wieder vor sich, wie sie rannten, die Mäntel flatternd, die Hüte fliegend und mit den Pilgerstöcken wedelnd … Sie lachten alle darüber, doch Lorenzo musste sich bemühen, auch nur zu grinsen. Er starrte Magdalena an und tauchte gleichzeitig in seine Erinnerung ein, wie sie – Wochen später – eine Reisegruppe überfielen, die gedacht hatte, in wenigen Stunden in Pistoia und damit in Sicherheit zu sein.
    »Dann …«, stotterte er, »dann kam der Tag, an dem …«
    Die Hälfte von ihnen waren so junge Kerle, dass sie ihre sexuellen Erfahrungen ausschließlich mit ihren eigenen Händen gemacht hatten, von den Glückspilzen abgesehen, die von einer älteren Base im Gebüsch hinter dem Schweinestall verführt worden waren. Sie kamen nicht auf den Gedanken, die Frauen zu vergewaltigen, auf die sie trafen, oder wenn sie auf den Gedanken kamen, wagten sie es nicht. An jenem Tag in der Nähe von Pistoia stand plötzlich eine nicht mehr ganz junge Frau zwischen ihnen, reich gekleidet, eine Schönheit, die noch lange brauchen würde, um zu verblühen, und niemand, der sich von einem Dutzend junger Burschen einschüchtern ließ, nur weil diese Spieße und Armbrüste hielten und die Begleiter der Dame mit erhobenen Händen neben der Kutsche standen. Lorenzo hörte ihre hochmütige Stimme und ihren Mailänder Akzent, mit der sie ihnen Feigheit vorwarf und sie aufforderte, zu verschwinden. Sie fragte, ob sie das, was sie taten, auch ihren Müttern erzählen würden, und ob sie glaubten, dass diese dann stolz auf sie wären. Sie hatte eine bezwingende Persönlichkeit; Lorenzo sah aus dem Augenwinkel, wie die Ersten unter ihnen die Waffen senkten. Martino starrte sie an wie eine Erscheinung. Ein

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