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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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unwillkürlich griff er hinunter und wand und drehte sich, bis er eine andere Lage gefunden hatte und der Schmerz verebbte. Dann sah er erschrocken hoch und erwartete, in Schwester Magdalenas bohrenden Blick hineinzusehen; doch er sah sie, wie sie gebückt aus dem Buschwerk kam, und war froh, dass noch ein paar Augenblicke verstreichen würden, bis sie bei ihm war. Sein Gesicht brannte, und der einzige Plan, den er wirklich fassen und festhalten konnte, war der, eine Erklärung zu finden, um sie zu berühren, sie zu halten und zu küssen. Was bedeutete ihm Revere, was bedeutete ihm der Treffpunkt mit Corto, was bedeuteten seine geheime Mission, der Auftrag Ser Bianchis, was bedeuteten Clarice Tintori oder jeder andere Mensch im Umkreis der nächsten hunderttausend Meilen?
    Schwester Magdalena warf sich neben ihm ins Gras. Sie keuchte vor Anstrengung und hielt den Blick einige Momente lang starr auf Revere gerichtet, bis sie ihn endlich anblickte. Ihre schmalen Wangen waren gerötet, aber ihre Gesichtshaut war genauso grau und fleckig wie die der anderen.
    »Wann kommen wir endlich zum Treffpunkt?«, stieß sie hervor. »Die Leute brauchen Wärme … ein Feuer, etwas Warmes zu essen … Corto hat die ganzen Vorräte bei sich.«
    Lorenzo holte Atem. Er hatte sich hastig zurechtgelegt, was er sagen würde: Hören Sie, Schwester, ich weiß, dass Sie mich durchschaut haben. Clarice ist durch meine Schuld in Cortos Gefangenschaft geraten, und ich werde sie wieder daraus befreien. In Florenz rüstet mein Herr im Augenblick wahrscheinlich eine halbe Armee aus, um mir dabei zu helfen, aber ich muss sie allein hier herausholen. Nicht nur um meinetwillen, sondern auch Cortos und des Wolfspacks wegen. Ser Bianchi wird wahrscheinlich Antonio Bandini das Kommando über die Truppe übergeben, und Bandini wird Corto gnadenlos zur Strecke bringen. Wenn ich Clarice vorher retten und zurückbringen kann, wird er jedoch die Jagd abbrechen, schon weil Ser Bianchi sie nicht weiter finanzieren wird. Ich weiß, dass Sie denken, ich gehöre eigentlich hierher, zu Corto und seinen Leuten, und dass Sie als Verrat empfinden, weswegen ich hier bin. Aber es ist kein Verrat. Zuerst haben mir die Männer nichts bedeutet, doch nun … Ich hätte Corto mehrfach beseitigen können; ich habe es nicht getan …
    Weiter war er nicht gekommen. Als er in Schwester Magdalenas Augen sah, wusste er, dass er auch nicht weiter kommen würde. Sie wusste bereits, was er ihr mitteilen wollte, wusste es besser, als wenn er versucht hätte, es ihr zu sagen.
    Er hatte ihr die Wahrheit sagen und sie überzeugen wollen, dass er nichts Böses im Schilde führte. Nun, die Wahrheit war in mehrerlei Hinsicht nötig.
    »Heute … in dem Gebüsch … da wollte ich dich«, hörte er sich sagen.
    Sie schwieg. Ihre Augen sprachen für sie.
    »Ich wollte dich auch«, sagte sie schließlich.
    »Mein Name ist Lorenzo Ghirardi«, sagte er. »Ich bin dreißig Jahre alt. Ich arbeite seit drei Jahren für Ser Domenico Bianchi in Florenz. Davor habe ich jede Sünde begangen, die ein Mensch begehen kann. Ich habe von meinem zwanzigsten Jahr an zu einer Bande gehört, die das Land am Fuß des Appennin unsicher gemacht hat. Vor mehr als drei Jahren haben wir ein Dorf überfallen …«
    Ihr Anführer war Martino gewesen, dessen Vetter Paolo seine rechte Hand. Mit seinen dreißig Jahren war Martino der Älteste der Bande gewesen; Lorenzo bei Weitem nicht der Jüngste. Sie hatten Trecks von Kaufleuten überfallen oder aufgehalten und geplündert, wenn ihre Bewachung gering genug war. In den Wintern hatten sie sich getrennt; nicht wenige waren zu ihren Familien zurückgekehrt, nur um sich wieder zu vereinigen, sobald die Straßen im Frühling passierbar wurden. Sie waren Flüchtlinge, so, wie Schwester Magdalena es geschildert hatte: auf der Flucht vor einer unerträglichen Gegenwart in Armut oder vor der Aussicht auf eine ebenso erbärmliche Zukunft. Als sie sich im sechsten Jahr trafen, war alles anders. Paolo war nicht mehr dabei. Das Gerücht machte die Runde, dass Paolo versucht hatte, Martino im Winter an den Stadthauptmann von Pistoia zu verkaufen, und dass Martino davon in letzter Minute Wind bekommen und Paolo getötet hatte, bevor er aus Pistoia geflohen war. Martino war jedenfalls vor allen anderen am Treffpunkt gewesen, hager und struppig, als ob er schon viele Tage dort verbracht hätte. Er war aufgestanden, hatte auf Lorenzo gezeigt und gefragt: »Kann ich auf dich

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