Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
schlug in Martinos sterbenden Körper ein, und der Aufprall des rennenden Pferdes schleuderte Lorenzo zur Seite. Während die Reiter durch das Dorf stürmten und Vergeltung übten für die Vergewaltigung von Baroness Estefania Menafoglio und dadurch die übrig gebliebenen Dorfbewohner retteten – dabei ihr Dorf zum größten Teil abfackelnd –, gelang es Lorenzo, blutüberströmt von dem Zusammenprall mit dem Pferd, zerschunden am Leib und tot an der Seele, gemeinsam mit den flüchtenden Dörflern zu entkommen.
Kapitel 36.
M agdalena marschierte zwischen den Dörflern und spendete Trost und Zuspruch, wenn jemand glaubte, auf den letzten paar Schritten nicht mehr weiterzukönnen, aber ihr Herz war nicht bei der Sache. Die Dämmerung war noch hell genug, um alles rundherum sehen zu können, doch Lorenzo und Cortos Wölfe hatten darauf bestanden, dass sie nun dicht beisammen blieben. Sie fühlte immer noch die Tränen, die aus Lorenzos Augen über ihre Hand gelaufen waren; sein Gewicht, als sie ihn zu sich herangezogen hatte und er sich an sie geklammert hatte, und am Ende den Geschmack ihres Kusses – Salz von ihren beider Tränen, Bitterkeit von Schmutz und schlechtem Atem und miserabler Ernährung, und Süße von der nie zuvor gekannten Berührung. Sie hatte den Schauer wieder über ihren Leib laufen gespürt wie vor ein paar Stunden im Gebüsch. Das Glockenläuten von Revere und die bis zu ihnen dringenden dumpfen Schläge, mit denen die Tore geschlossen wurden, hatten ihre Umarmung unterbrochen; vielleicht war es gut so, denn sie wären in ihr ertrunken.
»Da ist es«, sagte Enrico und blieb stehen. Magdalena sah im grau werdenden Licht eine dunkle Spur, die sich über die massive Form des Damms zu ihrer Rechten emporzog. Die Spur war ein freistehendes Waldstück, um das herum mehrere Hundert Schritt freies Gelände in jeder Richtung lagen, als hätte eine gigantische Sense rundherum alles niedergelegt und nur diesen einen Fleck vergessen. Er zog sich vom Fuß des Damms zu dessen Krone und umfasste in etwa die Fläche eines großen Klosterbaus vor den Toren einer Stadt. Direkt vor dem Damm raschelte eine ausgedehnte Schilffläche; Buschwerk und Grasland reichten von allen Seiten an Schilf und Damm heran, rollten aus dem Nichts dämmerungsgrauen Nieselregens herbei.
»Wenn Mauern drum herum wären, wäre es eine Burg«, sagte Lorenzo.
Enrico nickte. »Noch weiter flussaufwärts ist der Damm zusammengesackt. Vermutlich hat die letzte große Flut alles an Obstgärten oder Feldern weggeschwemmt, und die Leute, die versucht haben, die Gegend zu roden, sind entweder abgesoffen oder hatten die Schnauze voll und haben sich anderswo niedergelassen.«
»Die Furt?«
»Führt mehr oder weniger direkt aus dem Waldstück heraus über den Fluss.«
»Na gut«, sagte Lorenzo. Magdalena vernahm Erleichterung wie einen warmen Hauch, der von ihm ausströmte. »Sieht so aus, als hätten wir’s geschafft, oder?«
»Mit minimalen Verlusten«, sagte Enrico und warf einen Blick zu Felicità hinüber, die halb betäubt vor Müdigkeit an der Hand einer der Frauen aus dem Dorf dahinstolperte.
Magdalena sah Urso mit zusammengekniffenen Augen in die Trübnis starren. Sorge stieg in ihr auf. Lorenzo blickte auf und zu ihr; sie ahnte mittlerweile, dass ihr besonderer Sinn auf ihn eine außergewöhnliche Wirkung hatte: nicht, dass er ihn auch besessen hätte, aber was immer sie empfing, schien zu ihm durchzudringen. Dann sah er zu Urso.
»Irgendwer kommt«, sagte der große Mann.
Im nächsten Augenblick sah Magdalena sie auch: die dünne Linie aus Schatten, die sich in der Dämmerung manifestierte, schräg zu ihrer Marschrichtung und auf das Waldstück zuhaltend. Zuerst schienen sie sich nicht zu bewegen, sondern einfach nur Gestalt angenommen zu haben. Dann wurden sie größer und fester, und Magdalena erkannte, dass sie sich sehr wohl bewegten. Magdalenas Zwerchfell zitterte von etwas, das zu dumpf war, um als Geräusch wahrgenommen zu werden. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Schatten waren Menschen, die auf den Damm zuliefen … die auf den Damm zurannten. Das dumpfe Geräusch brachte Magdalenas Bauchdecke ins Schwingen und stellte die Haare auf ihren Armen auf.
»Das ist Fabios Gruppe«, sagte Enrico.
Magdalena spürte das Beben jetzt auch mit den Füßen. Sie sah in betroffene Gesichter rings um sich herum, deren Mimik innerhalb von Augenblicken zu Entsetzen und dann zu Panik wechselte.
Im nächsten Moment löste sich
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