Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
auf. Sie sah keinen von uns an, auch nicht mich. Ich hatte nicht gewollt, dass ihr etwas angetan wurde, ich hatte ihren Sohn gerettet und wäre beinahe dabei draufgegangen, doch sie hatte keinen Blick für mich. Ich war in ihren Augen nicht anders als meine Kumpane. Sie hasste mich. Ich hasste mich ebenfalls. Und ein paar Wochen später kamen wir dann zu jenem Dorf …«
»Stell es dir vor«, sagte Lorenzo. »Ein warmer Tag im Ostermonat. Alles, was halbwegs gehen oder kriechen kann, ist auf den Feldern, sät, gräbt oder klaubt Steine. Wer noch im Dorf zurückgeblieben ist, das wir beobachten, das sind die Alten, Kranken, die Wöchnerinnen und die ganz kleinen Kinder. Die ersten Mücken tanzen in der Luft, noch träge von der allnächtlichen Kühle; es ist leicht, sie zu erschlagen. Unsere Gruppe liegt im Gebüsch verborgen und wartet. Ich liege direkt neben Martino. Ich sehe Martinos immer leerer werdenden Blick und wie sich seine Lippen von den Zähnen zurückziehen. Ich weiß, dass etwas Schlimmes kommen wird, aber ich habe nicht die Kraft, es zu verhindern. Um es zu tun, müsste ich Martino hier und jetzt ein Messer ins Herz rammen. Wir laufen los. Es sind nur wenige Dutzend Schritte vom Gebüsch zu den ersten Häusern. Eine alte Frau kommt aus einer der nächstgelegenen Hütten, wendet den Kopf überrascht, als sie uns bemerkt; Martino stößt im Laufen mit dem Spieß zu …«
Lorenzo beschönigte nichts. Es war ein Massaker, und er war ein Teil davon gewesen. Die arbeitsfähigen Männer und Frauen waren nicht so weit entfernt gewesen, dass sie nicht hätten zurücklaufen können, aber sie kamen einer nach dem anderen und waren fassungslos vor Entsetzen, während Martinos Gruppe … in einen Blutrausch fiel …
Er spürte Schwester Magdalenas Hand auf der Wange. Ihr Daumen streichelte ihn sanft, und jetzt erst wurde ihm bewusst, dass ihm Tränen aus den Augen liefen. Er sah sich selbst, ständig an Martinos Seite inmitten der Schlächterei, ohne sich zu beteiligen, ein starrer und stummer Zeuge des Grauens. Einer seiner Freunde lief an ihm vorbei, trieb eine Frau vor sich her, keine zehn Schritte von ihm entfernt holte er sie und zwang sie auf den Boden. Martino schrie, er solle etwas von ihr für ihn übrig lassen. Ein Bauer rannte mit erhobenem Grabstock auf Lorenzo zu, den Mund brüllend aufgerissen, Lorenzo war dem Tod geweiht, ohne dass er sich bewegen konnte. Ein Armbrustbolzen riss den Angreifer von den Füßen, als er beinahe auf Reichweite an Lorenzo heran war. Martino jubelte und stieß eine Faust in die Luft und machte dem Schützen ein Kompliment. Jemand hatte eine krähende Gestalt, die nicht echter aussah als eine kleine Puppe, an den Füßen gepackt und schwang sie. ›Wirf her!‹, grölte Martino und wirbelte den Spieß wie man einen Schläger handhabt, um den Ball davonzudreschen. Dann sah Lorenzo die kriechende Gestalt, die versuchte, vor Martino zu fliehen, und Martino, der sie auch bemerkte, drehte seinen Spieß um …
Lorenzo spürte den Ruck wieder, mit dem seine Pike durch Kleidung, durch die zähe Haut und durch den Leib Martinos drang und vorne wieder austrat. Er spürte, wie sich der rasende Trommelwirbel von Martinos Herz scheinbar über die lange Stange bis auf seine Hände übertrug und ihn erbeben ließ. Er starrte in Schwester Magdalenas tränennasse Augen und sah Martino, der sich so weit umdrehte, wie es die durch seinen Rücken gedrungene Pike zuließ, und Lorenzo anstierte. Er erinnerte sich an sein Stolpern, als Martino versuchte, einen Schritt zur Seite zu machen und einen Arm nach Lorenzo auszustrecken und ihn zu packen. Er hörte Martino röcheln und lallen. Er fühlte, wie über seine Finger etwas Warmes rann und sie an die Pike zu kleben begannen.
In seiner Erinnerung hörte er ebenfalls das Hufgetrappel und die harten Schläge, die von abgefeuerten Armbrüsten stammten, aber der Lorenzo, der die Pike hielt, mit der er seinen Anführer und Freund Martino gepfählt hatte, kümmerte sich nicht darum. Er kümmerte sich nicht darum, dass von denjenigen seiner Kumpane, die seinen Mord mit offenen Mündern beobachteten, plötzlich einer nach vorn gerissen wurde und mit einem Bolzen im Rücken liegen blieb. Alles, was zählte, waren Lorenzo und Martino und die Pike, die sie in Schmerz, Blut, Verrat und Erlösung gleichermaßen verband. Dann kippte Martino zur Seite, die Pike wurde Lorenzo aus den Händen gewunden. Ein Reiter donnerte an ihm vorüber, ein Armbrustbolzen
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