Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Ärger darüber, dass nach allem, was sie hier vorgefunden hatten und was ihre eigene heile Welt erschüttert und zumindest die von Schwester Immaculata offenbar zerschmettert hatte, trotzdem kein anderes Problem drängender war als das der täglichen Aufgabe, sich zu ernähren; und dass von den beiden Männern, die für den guten Verlauf der Reise zuständig waren, der eine sich vor den Toten fürchtete und der andere einen Besenstiel so tief ins Kreuz gerammt hatte, dass das Stroh oben seinen Kopf ausfüllte.
»Wenn das stimmt, dürfte es ja kein Problem sein, mit einem deiner Männer durch die Dunkelheit zum nächsten Dorf zu marschieren und dort etwas zu essen zu erstehen.«
»Das läßt sich machen«, sagte der Scharführer und räusperte sich. »Ich habe schon daran gedacht … Ich wollte nur nicht …«
»Schwester …«, begann Bruder Girolamo.
»Du wolltest was nicht? Uns nicht allein lassen? Die Toten können uns nichts mehr anhaben. Und so was will ein erwachsener Mann sein. Warum tust du nicht, was dir schon selbst eingefallen ist?«
»Weil ich dagegen war«, sagte Bruder Girolamo.
»Ach ja?« Magdalena spürte die kühle Ablehnung, die der Mönch ihr entgegenbrachte, und den einen Gedanken: Weiberlaunen!, der wie eine grelle Flammenzunge aus der Kühle emporloderte. »Du und deine Brüder mögen herumgekommen sein und so etwas wie das hier schon hundertmal gesehen haben. Für meine Schwestern und mich trifft das nicht zu! Ich persönlich habe nicht geglaubt, dass die Welt gut und edel ist, aber ich hätte auch nicht im ärgsten Traum daran gedacht, dass sie so schlimm ist. Was denkst du, wie es den beiden anderen geht? Ich weiß nicht viel, aber wenn ich eines weiß, dann, dass ein warmes Essen die Wunden der Seele besser heilt als Fasten.«
»Nun, meine Schwester, ich denke nicht, dass du in dieser Situation …«
»… Befehle geben solltest?« Magdalena kniff die Augen zusammen. »Ich bin für meine Schwestern verantwortlich. Sie sind beide fast noch Kinder. Ich danke dir und deinen Brüdern dafür, dass ihr uns begleitet, und ich danke dem Scharführer und seinen Männern dafür, dass sie uns beschützen, aber ich habe mit keinem Wort, das irgendjemand bei unserem Abschied gesprochen hat, gehört, dass wir euren Befehlen zu gehorchen hätten. Ich bin die Magistra von Schwester Immaculata gewesen und bin immer noch die von Schwester Radegundis, und auch wenn sich das innerhalb der Gemeinschaft nur auf ihr Seelenheil erstreckt, dann nehme ich doch an, dass es außerhalb der Klostermauern für alles gilt. Und daher sage ich: Die beiden brauchen etwas zu essen und einen tiefen Nachtschlaf, oder sie werden morgen keinen Schritt mehr weitergehen und immer noch in der Nacht schreiend aufwachen, wenn sie schon alte Weiber sind und keine Zähne mehr haben.«
Bruder Girolamo trat einen Schritt auf sie zu, und sie wich unwillkürlich zurück, bevor sie stehen blieb und den Kopf trotzig hob. Der Mönch beugte sich zu ihr herab und zischte: »Sei still, Schwester, du weißt nicht, was du …«
»Ich weiß genau, was ich sage. Und ich weiß noch genauer, was ich will!« Magdalena hob die Stimme. »Scharführer, ich möchte, dass du tust, worum ich dich gebeten habe. In aller Demut!«, fügte sie hitzig hinzu.
Der Scharführer räusperte sich ausgiebig. Er vermied es, Bruder Girolamo in die Augen zu sehen, der sich aufgerichtet hatte und mit den Kiefermuskeln mahlte. »Wie Sie es wünschen, Schwester!« Er wandte sich mit einer abgezirkelten Bewegung um, sprach den älteren seiner beiden Begleiter an, und gemeinsam marschierten sie davon. Der zurückbleibende Waffenknecht, der junge Mann, der die Nachhut gebildet hatte, ließ den Kopf hängen und schien nicht einmal wahrzunehmen, dass sie gegangen waren. Magdalena holte Atem, um ein letztes Wort zu Bruder Girolamo zu sagen, blickte in sein Gesicht und verzichtete darauf. Ihr Zorn verflog schneller als die Wärme eines Kochfeuers in einer Winternacht, und sie bedauerte die Schärfe ihrer Worte; aber seine Miene war so abweisend, dass sie sich nicht überwinden konnte, ihn um Vergebung zu bitten. Sie stapfte zu ihren Schwestern hinüber, ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen.
Schwester Immaculata kauerte im schwindenden Licht mit um den Oberkörper geschlungenen Armen, als hinge nicht die Wärme eines späten Sommerabends über Feldern, auf die den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte. Sie pendelte mit kleinen Bewegungen vor und zurück und wimmerte
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