Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Beerdigung hatten weder sie noch Immaculata sich beteiligt. Beide kauerten aneinandergedrängt ein ganzes Stück entfernt von den Gräbern, abseits der Spur, die beim Rücktransport des Toten, auf den Immaculata gestoßen war, in das Gras getrampelt worden war. Das Abendlicht reichte noch dazu, ein Gebet für die Ermordeten zu sprechen. Magdalena sah auf ihre Hände hinab, die von Blut und Erde gleichermaßen verkrustet waren und zitterten. Entschlossen verschränkte sie die Finger ineinander.
»Wie der Schatten zum Licht gehört, so gehört der Tod zum Leben«, sagte Bruder Girolamo, der während der grimmigen Arbeit im Inneren der Hütten etwas mehr Menschlichkeit hatte durchblicken lassen als während der Reise zuvor. »Trotzdem gehen wir dem Tod aus dem Weg. Er ist geheimnisvoll, und manchmal ist er schrecklich. Wir wissen zwar, dass wir sterben müssen. Aber wir wissen nicht, wann der Tod kommt, wie er kommt und wie es nach dem Tod weitergeht. Im Glauben wird uns die Gewissheit geschenkt, dass uns nichts – auch nicht der Tod – scheiden kann von der Liebe Gottes.«
»Amen«, sagte Magdalena. Sie sah aus dem Augenwinkel, dass Radegundis sich aufrecht hingekniet und die Hände vor der Brust gefaltet hatte. Immaculata dagegen kauerte wie ein Bündel Kleider auf der Erde. Sie wirkte wie die einzige Überlebende des Massakers, der jetzt die Kraft fehlte, dem letzten Gebet für ihre Lieben beizuwohnen. Vielleicht nahm sie diese Rolle ein, weil es keine Überlebenden gegeben hatte. In Magdalena stieg Sorge auf, wie sie mit ihr die Reise fortsetzen sollten.
»So spricht der Herr: Wer an mich glaubt, wird leben. So spricht der Herr: Heimkehren sollen alle, die ich erlöst habe. So spricht der Herr: Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie mehr erreichen. Ihr Scheiden scheint uns wie ein Untergang, aber sie sind im Frieden.«
»Amen«, sagten alle.
Bruder Girolamo schlug das Kreuz. »Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen«, sagte er und wandte sich ab. Seine Blicke trafen sich mit denen Magdalenas. Beide nickten einander zu.
Die anderen Brüder und die Waffenknechte legten die Grabstöcke und hölzernen Schaufeln, mit denen sie gearbeitet hatten, auf den flachen Hügel des Massengrabs und wankten ein paar Schritte beiseite, um sich niederzusetzen. Die Mönche kramten in den ledernen Beuteln mit den Vorräten, die sie bis jetzt abwechselnd getragen hatten, und zogen die Wasserschläuche hervor. Magdalena stellte fest, dass Bruder Girolamo und der Scharführer sich nicht setzten, sondern abseits standen und leise diskutierten. Wenn sie in den letzten Tagen aus Bruder Girolamos steifer Haltung etwas gelernt hatte, dann, dass seine noch ärger als sonst verkrampften Schultern einen grundsätzlichen Dissens zwischen ihm und dem Scharführer ausdrückten. Sie trat zu ihnen, und die Männer verstummten.
»Ich habe dort drin das Gleiche gesehen und die gleiche Arbeit verrichtet wie ihr«, sagte sie.
Der Scharführer und der Mönch sahen sich an. Bruder Girolamo zuckte mit den Schultern.
»In ein paar Minuten wird es dunkel«, sagte der Scharführer. »Wir können nicht mehr weiterreisen. Das heißt, wir müssen in diesem Gehöft übernachten – mit den Geistern der Ermordeten.« Er spreizte Zeige- und kleinen Finger in Richtung der Hütten ab, für den Fall, dass die Geister die Gewohnheiten ihrer stofflichen Existenz noch nicht abgestreift hatten und sich dort verbargen.
»Ich denke, unsere größere Sorge sollte sein, dass wir heute Nacht eigentlich in einem Hospiz übernachten wollten und daher die Vorräte nicht ausreichen werden«, erklärte Magdalena. Bruder Girolamo verzog keine Miene.
»Sie haben völlig recht, Schwester«, sagte der Scharführer nach einer kleinen Pause, in der Magdalena seinen inneren Kampf zu hören glaubte. Sie versuchte in ihn hineinzusehen, aber sie war zu erschöpft und ihre Seele zu beladen mit den Schrecklichkeiten der letzten Stunden. Sie drückte sich die Handballen in die Augen; das Brennen wurde davon nicht besser.
»Schwester Immaculata und Schwester Radegundis sind am Ende«, sagte sie. »Abgestandenes Wasser allein bringt sie nicht wieder zu Kräften.«
»Natürlich nicht.«
»Wo hätten wir heute übernachten wollen? Der junge Mann sagte, in der Nähe von Bologna.«
Bruder Girolamo öffnete den Mund, aber Magdalena war schneller. Sie stellte fest, dass sie von allen Emotionen, die in ihr brodelten, den Ärger am stärksten verspürte –
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