Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Sie spürte es, während sie sich bemühte, sich auf Clarice zu konzentrieren und einen neuen Weg zu ihr zu finden. Sie konnte verstehen, dass die junge Frau von Hass erfüllt war. Was sie nicht verstehen konnte, war, weshalb sich dieses Gefühl gegen die Insassen des Trosswagens richtete. Ein Gedanke fuhr wie ein Schock durch sie hindurch: Corto und seine Männer hatten Clarice Gewalt angetan, und was Magdalena als Hass interpretierte, war in Wahrheit entsetzliche Scham. Doch wie hätten Francesco Giallo und die beiden jungen Burschen nicht wissen können, was man ihr angetan hatte? Unwillkürlich strengte Magdalena sich an, tiefer in Clarices Herz blicken zu können, doch es war vergeblich. So schnell wie der Gedanke gekommen war, verließ er Magdalenas Hirn wieder. Unsinn, sagte sie sich, wenn man ihr das angetan hätte, dann würde ich es spüren, und wenn ich hundert Meilen von ihr entfernt wäre! Der Gedanke ging dennoch nicht, ohne einen nagenden Zweifel in Magdalena zu hinterlassen. Irgendeine Schwingung war da gewesen, sonst hätte sich diese Assoziation nicht eingestellt. Aber was sie bedeuten sollte …
»Clarice, wenn du möchtest … Ich kann dir zwar nicht die Beichte abnehmen, aber ich kann teilen, was dich bedrückt«, sagte Magdalena plötzlich.
»Wer sagt, dass mich was bedrückt?«, erwiderte Clarice nach einer aufreizenden Pause, ohne den Kopf zu drehen.
» Ich möchte beichten!«, sagte Francesco Giallo hastig.
»Ich habe doch gesagt, dass ich niemandem die Beichte abnehmen kann«, erklärte Magdalena und merkte, dass sie sich genauso anhörte wie Clarice.
»Confiteor Deo omnipotenti« , haspelte Giallo und bekreuzigte sich. »Herr, erbarme dich meiner, denn ich habe gesündigt.« Er starrte Magdalena an.
Magdalena biss die Zähne zusammen und schluckte eine Woge aus Wut hinunter, die plötzlich in ihr hochschoss. Sie war gewahr, dass sowohl Schwester Radegundis als auch Clarice Tintori sie beobachteten. Sie raffte sich auf und schlug die Plane über der Rückwand des Trosswagens zurück. Die Männer draußen fuhren herum.
»Folge mir«, zischte sie über die Schulter zu Francesco Giallo.
Als sie herunterkletterte, stand Fabio neben ihr.
»Ich möchte, dass Sie wieder zurück in den Wagen gehen«, sagte er leise. Als Giallos Kopf in der Öffnung erschien, knurrte er ihn an: »Das gilt auch für dich!«
»Dieser Mann will seine Seele erleichtern«, sagte Magdalena und starrte Fabio in die Augen. »Das ist ein Sakrament. Wage nicht, ihn daran zu hindern.«
»Unsinn!«
»Francesco, sag ihm, was du zu mir gesagt hast.«
»Ich …«, Giallo musterte Fabios Gesicht und senkte den Blick. »Ist nicht mehr wichtig, glaube ich …«
»Jetzt hab ich aber genug!«, rief Magdalena und kämpfte wütend darum, nicht die Fassung zu verlieren. »Komm raus aus dem Wagen, du Feigling, oder bleib drin, aber wenn du drinbleibst, dann jammere mir nicht noch einmal vor, dass du deine Seele erleichtern willst. Was glaubst du, warum es heißt, dass zu einem Schuldbekenntnis Mut gehört?«
Fabio gaffte sie an. Undeutlich erkannte sie, dass alle Männer aus Cortos Tross sie ebenfalls anstarrten. Über Fabios Gesicht huschte plötzlich ein Grinsen.
»He, die Schwester zeigt dir aber, wo’s langgeht, Gelbar…«, begann jemand von den Umstehenden, schluckte und endete: »… popo!«
Giallo blickte zwischen Fabio und Magdalena hin und her.
»Na mach schon, wenn’s gerade jetzt sein muss!«, sagte Fabio und trat einen Schritt zurück. »Aber redet leise, verdammt noch mal!«
Magdalena kniete sich ein paar Schritte abseits auf den Boden. Giallo schlurfte zu ihr, noch immer zu Fabio und den anderen spähend, als erwartete er jeden Moment, dass sie ihn mit Steinen bewerfen würden. Die Plane über dem Trosswagen bewegte sich erneut, und die Gesichter von Eduardo und Raffaelle Cantafini erschienen. Nach einem Augenblick zeigte sich darüber Clarice Tintori. Magdalena fühlte ihren Blick auf sich ruhen.
»Confiteor Deo omnipotenti, beatae Mariae semper virgini, beato Michaeli Arcangelo …« , flüsterte Giallo, kaum dass er sich neben Magdalena gekniet hatte.
»Hör auf damit, Francesco«, sagte Magdalena. »Dies ist keine Beichte, wie oft soll ich das noch sagen! Ich habe nicht das Recht, dir die Beichte abzunehmen. Wenn du dein Herz erleichtern willst, dann rede einfach!«
»Schwester!«, flüsterte Giallo. »Ich will auch gar nicht beichten. Ich wollte nur allein mit Ihnen reden, ohne diese beiden Blagen
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