Die Braut des Herzogs (German Edition)
erledigen«, meinte Olivia und ließ sich aus dem Fahrzeug helfen.
Sie winkte ihrer Tante zu, und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung.
Aufgrund der kühlen Witterung herrschte auf der Straße ein weniger reges Treiben als sonst. Dafür war die Bücherei besonders gut besucht. Alle Lesetische waren voll belegt, die Verkäufer eilten dienstbeflissen von Kunde zu Kunde. An ein gemütliches Durchblättern mehrerer Bücher war nicht zu denken. Auch der bestellte Gedichtband war noch nicht eingetroffen, wie Olivia von einem sichtlich überforderten, jungen Bediensteten mit bedauerndem Lächeln mitgeteilt wurde.
Olivia fand, daß sie jetzt nichts mehr in dem Laden halten konnte, und trat ins Freie. Es konnten höchstens erst fünfzehn Minuten vergangen sein, seit sie sich von ihrer Tante getrennt hatte. Da sie nicht gut die verbleibende Viertelstunde, oder wahrscheinlich noch länger, denn sie kannte inzwischen die ausgiebigen Plaudereien zwischen ihrer Tante und der Schneiderin, vor dem Geschäft wartend verbringen konnte, entschloßsie sich, sich doch zu Fuß zum Geschäft von Mrs. Dudley zu begeben. Es war ja schließlich nicht weit: einige Meter die Bond Street hinunter, eine schmale Straße war zu queren, die nächste war die Straße, in der sich Mrs. Dudley’s Salon befand.
Sie wollte sich soeben auf den Weg machen, in der Hoffnung, daß ihr kein allzu konservatives Mitglied der Gesellschaft begegnen würde, das an einer Dame ohne Begleitung Anstoß nehmen könnte, als sie plötzlich merkte, wie jemand eiligen Schrittes knapp hinter ihr näherkam. Sie wollte sich gerade umdrehen, um zu sehen, ob es ein Bekannter war, der versuchte sie einzuholen, als sie einen heftigen Ruck am Handgelenk verspürte. Es ging alles so schnell, daß sie kaum wußte, was geschah – doch ein Blick auf ihr Handgelenk brachte rasch die furchtbare Gewißheit: Jemand hatte ihr das Retikül gestohlen! Am hellichten Nachmittag, mitten auf der Bond Street!
Die Diamantenohrgehänge waren in dieser Handtasche! Panik wollte sie ergreifen. Was sollte sie nur tun? Nachlaufen? Sie hatte keine Chance. Schreien? Mitten auf der halbwegs belebten Einkaufsstraße ein Aufsehen verursachen? Es musterten sie auch so schon zu viele Leute. Ach, wenn sie bloß die Ohrgehänge nicht mitgehabt hätte! Wo war der Dieb überhaupt? Sie mußte rasch etwas unternehmen, sonst hatte dieser Kerl einen unaufholbaren Vorsprung.
Ja, dort vome sah sie ihn. Einen schmächtigen Burschen mit dunkler Wollweste, eine karierte Mütze auf seinen kurzen Haaren. Sie mußte ihm nach! Er verschwand gerade um die Ecke in die Seitenstraße. Es war aussichtslos.
Hätte sie doch im Buchladen gewartet! Warum mußte sie auch immer glauben, sie käme allein zurecht? Zu spät.
Sie warf noch einen Blick auf die Straßenecke, um die der Gauner verschwunden war – da sah sie zu ihrem Erstaunen ihr Retikül wieder. Es befand sich in der Hand eines Mannes mittleren Alters. Er kam mit großen Schritten auf sie zu: »Darf ich Ihnen Ihr Eigentum zurückerstatten, Miss«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung.
»Oh, vielen Dank!« rief Olivia erfreut und nahm ihren Beutelentgegen: »Aber wie kommt es, … wie wußten Sie …?« stammelte sie ratlos.
»Ich habe etwas weiter unten in der Straße den Vorfall beobachtet, Miss. Ich meine, wie der Bursche Ihnen Ihr Täschchen da entriß. Hab’s gesehen und bin ihm gleich nach. War ein leichtes, ihm die Beute abzunehmen, Miss. Nur leider, der Kerl ist mir entwischt«, fügte er bedauernd hinzu.
»Oh, das macht nichts, Hauptsache ich habe meinen Beutel wieder. Ich danke Ihnen so sehr für ihr beherztes Eingreifen, Mr. …«
»Stevens, Miss. Jonathan Stevens, Stiefel- und Schuhmacher. Zu Ihren Diensten.« Er verbeugte sich nochmals.
»Wie kann ich Ihnen nur danken, Mr. Stevens?« fragte Olivia überschwenglich und öffnete ihr wiedererlangtes Retikül: »Ein Finderlohn steht Ihnen natürlich zu.«
Zu ihrem Erstaunen winkte der Schuster ab: »Nein, nein, Miss! Wer bin ich denn, daß ich Geld von so einer schönen Lady nehmet Es war mir eine große Ehre, Ihnen dienen zu können.«
Olivia steckte ihr Geldtäschchen wieder zurück und blickte ihr Gegenüber überrascht an: Er war zwar sauber und ordentlich gekleidet, doch nichts an seinem Äußeren wies darauf hin, daß er es sich leisten konnte, auf einen Finderlohn zu verzichten. Aber so einfach ohne Gegenleistung wollte sie ihn nicht gehen lassen; »Mein Name ist Redbridge«, stellte
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