Die Braut des Kreuzfahrers
genug war, diese Verletzung zu überleben. Jetzt wehte der Wind auch den wohlbekannten, süßlichen und zugleich widerlichen Geruch eiternder Wunden zu ihr hinüber – dort in den Zelten lagen vermutlich die Verletzten, die die Belagerung in den vergangenen Tagen gefordert hatte. Die Pfeile und Wurfspieße der Verteidiger auf den Zinnen hatten nur allzu oft ihr Ziel erreicht, zudem waren viele Männer von Steinen getroffen worden. Noch schlimmer musste es jetzt drüben in der Stadt aussehen, denn in den Säcken, die Richard Löwenherz mitgebracht hatte, befanden sich dicke, glatte Flusskiesel. Er hatte sie in Messina aufsammeln lassen, um sie als Wurfgeschosse zu gebrauchen, und wie die Männer freudig erzählten, hatten sie eine schlimme Wirkung.
Wieso dauerte es nur so lange, bis Jean wieder auftauchte? Hatte er ihr am Ende die Unwahrheit gesagt? War seine Verwundung viel schlimmer, als er zugeben wollte?
Zwei Männer im schwarzen Habit der Bruderschaft traten jetzt aus einem der großen Zelte, zwischen sich trugen sie eine Bahre, die aus Hölzern und Ästen gefertigt und mit Lederriemen aneinandergebunden war. Auf der Bahre lag ein Mensch, dessen Körper in einen braunen, zerschlissenen Mantel eingewickelt war. Man sah nur die nackten Füße des Toten und das blonde Kopfhaar, das im Wind wehte. Die beiden Johanniter schritten langsam an Tiessa vorüber, und sie hörte sie leise Gebete sprechen, während sie den Toten zum Ausgang des Lagers trugen. Dort am Fuße des Hügels gab es einen Friedhof, das hatte Yolanda berichtet, und sie hatte sich sehr darüber erbost, dass man für die toten Pilger nicht einmal ein hölzernes Kreuz in den Boden steckte, denn das Brennholz war zu schade dafür. Man legte Steine auf die Gräber und formte daraus ein Kreuz. Unzählige solcher Steinkreuze seien dort zu finden, viele waren auch schon zertreten und man habe neue darübergelegt.
Beklommen sah sie den beiden Brüdern nach. Der Wind bauschte ihre langen schwarzen Gewänder, auf denen das achtspitzige weiße Kreuz leuchtete. Der Tote war gewiss ein junger Bursche gewesen, ein Knappe oder – dem einfachen Mantel nach – einer der Knechte. Viele von ihnen hatten die gefahrvolle Aufgabe, den Graben vor der Stadtmauer mit Geröll und Steinen zu füllen, damit der große Belagerungsturm nahe genug an die Mauer herangefahren werden konnte. Wie grausam solch ein Kampf war, wie lange er dauerte und wie mitleidslos die Krieger einander töteten. Freilich – es ging um den Besitz von Akkon, das den Christen gehören musste, dafür setzten die Kämpfer mutig ihr Leben ein. Es war eine Tat, die sie für ihren Glauben ausführten, auf Befehl des Papstes, um die Vergebung ihrer Sünden zu erlangen. Gott wollte es so – daran gab es keinen Zweifel. Der Kummer, den sie empfand, musste daher rühren, dass sie ein Mädchen war, das nichts von ritterlichem Tun verstand. Wie hatte ihr Vater doch gesagt – dies war kein Ort für eine Frau.
Am Ausgang des Lagers begegneten die Johanniter zwei berittenen Kämpfern, die sich beim Anblick des Toten bekreuzigten. Sie hatten die Helme abgelegt und an den Sätteln festgebunden, ihre Tiere bewegten sich im langsamen Schritt, so als seien sie von Kampf und Hitze erschöpft. Tiessa erkannte den Herrn Gottfried von Perche, der zweite Reiter hing vornübergebeugt auf seinem Ross und stützte sich mit einer Hand am Sattelknauf ab. Sein gelbes Reiterkleid hatte über der Brust einen länglichen Flecken von hellem rotem Blut. Als sie näher kamen, sah Tiessa den Pfeil, der zwischen Kettenpanzer und Halsberge seitlich in den Hals des Ritters eingedrungen war. Ein schmales Hölzchen von schwarzer Farbe, an seinem Ende mit hübschen hellblauen Federn besetzt.
Sie wich zur Seite, um den Weg zu den Zelten der Johanniter freizugeben, ganz sicher würde der Herr von Perche den Verwundeten dorthin geleiten, damit man ihm den Pfeil entfernte und die Blutung stillte. Doch während sie noch dastand und mitleidig zu dem Verletzten aufblickte, hob der Ritter plötzlich den Kopf und sah sie an. Er hatte grobe Gesichtszüge, eine breite Nase, dicke Lippen, und trotz der Verwundung war sein Gesicht nicht blass, sondern gerötet. Wo hatte sie diesen Mann schon einmal gesehen?
» Bei Gott « , sagte er mit heiserer Stimme und fuhr sich gleich mit der Hand an den Hals, denn das Sprechen schien ihm Schmerzen zu bereiten. » Da ist ja das Hürchen. Hast wohl auf mich gewartet, Mädel? «
Tiessa brachte kein Wort heraus,
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