Die Braut des Kreuzfahrers
hier so liegen?
Vorsichtig schob sie wenigstens den Kessel zur Seite, schüttelte die Krümel aus dem Haar und lauschte nach draußen. Wo war ihr Vater? Gott im Himmel – er war doch verletzt. Aber wie sie ihn kannte, würde er nicht zögern, auf den Wall zu klettern und das Lager zu verteidigen. Warum konnte sie nicht an seiner Seite sein? Weshalb verstand sie es nicht, mit Pfeil und Bogen zu schießen? Das Schwert zu führen? Ach, sie war zu nichts nutze, als nur hier wie ein Säugling zusammengekauert unter einem Haufen Zeug zu liegen, während die Männer draußen auf dem Wall ihr Leben wagten.
Dann hörte sie etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Helle, schrille Rufe aus männlichen Kehlen, trillernd, als flöge dort ein gewaltiger Vogelschwarm heran, und zugleich bedrohlich, teuflisch, voll ungezähmter Mordgier. Ein Zittern lief durch ihren Körper. Der Vater hatte recht gehabt, das waren wilde und grausame Heiden. Wenn eine Frau ihnen in die Hände fiel, würde ihr Schicksal entsetzlich sein.
Es waren nicht allzu viele Männer im Lager zurückgeblieben. Wie lange würde es dauern, bis die Ritter vor der Stadt ihnen zu Hilfe kamen? Bis die ersten auf ihre Pferde gesprungen waren, um hinüberzusprengen? Doch die meisten würden zu Fuß laufen müssen, da es nicht genug Pferde gab. Dafür schienen die Sarazenen gut mit Rössern ausgestattet zu sein – hatte man nicht gerufen, sie kämen geritten?
Die unheimlichen, durchdringenden Rufe wollten nicht aufhören, sie wurden nur immer lauter und vielstimmiger. Dazwischen vernahm man die Schreie der Verteidiger, jubelnd oder auch schmerzerfüllt, manchmal war beides kaum voneinander zu unterscheiden. Ein zischendes Geräusch ließ sie erschrocken zusammenzucken, gleich darauf hörte sie neben sich einen hellen, hohlen Klang. Ein Pfeil hatte das Zeltdach durchschlagen, den neben ihr liegenden Kessel getroffen und war von dort abgeprallt. Ein zweiter Pfeil folgte und bohrte sich dicht neben ihr in den harten Boden, ein dritter traf den Sattel, den Gottfried von Perche ihr über die Schultern gelegt hatte, und blieb im Leder stecken. Sie beeilte sich zu tun, was er ihr geraten hatte, kauerte sich zusammen und zog den verdammten Kessel über den Kopf.
Mein Gott, wie feige sie war. Sie schämte sich und dachte an die vielen Frauen und Mägde, die vor einigen Tagen Sand herbeigeschleppt hatten, obgleich sich die eingedrungenen Sarazenen noch im Lager befanden. Ob sie jetzt auch zitternd vor Angst in ihren Zelten kauerten? Oder ob sie neben den Verteidigern auf dem Wall lagen und die heidnischen Teufel mit Steinen bewarfen? War es nicht besser zu kämpfen, als darauf zu warten, von einem Sarazenen ermordet zu werden?
Entschlossen warf sie ihren Schutz von sich, nahm nur eine der Decken um die Schultern und lief aus dem Zelt. Die Feinde waren von Osten gekommen, dort, wo das Hurenlager war, doch mittlerweile hörte es sich so an, als griffen sie von allen Seiten an. Ohrenbetäubend und schrill gellten ihre Angriffsschreie. Besonders drüben am Lagertor, das man mit zwei Wagen notdürftig geschlossen hatte, schienen heftige Kämpfe zu toben. Dennoch lief sie zum östlichen Wall, denn sie hoffte, dort am ehesten ihren Vater zu finden.
Verirrte Pfeile zischten an ihr vorbei, fielen scheinbar vom Himmel herab, und sie griff sich im Vorübereilen ein Kochgefäß, um es wie einen Helm über den Kopf zu stülpen. Frauen liefen an ihr vorüber, trugen Eimer voller Steine, sammelten die von den Sarazenen verschossenen Pfeile ein, um sie den Verteidigern zu bringen. Vor dem östlichen Wall sah sie einen verwundeten Kämpfer liegen, Kopf und Brust waren von zahlreichen Pfeilen getroffen, Blut quoll aus seinem Mund, der Blick der weit offenen Augen war leer. Plötzlich erfasste sie eine ungeheure Wut auf diese Mörder, Gott würde sie strafen, diese elenden Heiden und die Christen waren ihr Strafgericht!
Sie begann nun ebenfalls, Pfeile einzusammeln, zog sie aus dem Boden, aus den Zeltplanen, entdeckte sie in den erloschenen Feuerstellen, zwischen dem Feuerholz. Sie fand einen leeren Eimer und warf Steine hinein, die überall im Lager herumlagen. Keuchend schleppte sie ihre Last zum Wall hinüber, wo zwei Kämpfer mit Pfeil und Bogen knieten und auf die heranreitenden Sarazenen schossen. An anderen Stellen war jetzt lautes Kampfgeschrei zu hören, und sie begriff, dass bereits einige der Angreifer ins Lager eingedrungen waren.
Sie kroch den niedrigen Wall
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