Die Braut des Kreuzfahrers
zurück. Tiessa lächelte und schmiegte sich an die Freundin. Dinah hatte die Nacht über neben ihr gesessen und die Totenwache gehalten. Auch Bertran hatte einige Stunden bei dem Verstorbenen gewacht und dem Herrn von Perche zugehört, der mit leiser Stimme lateinische Texte las. Gottfried von Perche war es auch gewesen, der den Priester herbeiholen ließ und alle übrigen Besorgungen für die Grablegung veranlasste.
Als sie sich der Stelle näherten, wo die christlichen Bewohner der Stadt ihre Toten begruben, war das offene Grab schon aus der Entfernung zu sehen. Tiessas Blick glitt fast gleichgültig über das Gräberfeld, wo zwischen unbehauenen Steinen spärliche, halb vertrocknete Halme wuchsen. Kaum vernahm sie die Worte des Priesters, der beim Reden mit den Augen zwinkerte, denn der Morgenwind trieb feinen Sand über die Stätte. Erst als man den Vater von der Bahre nahm und ihn in die Grube legte, kam ihr zu Bewusstsein, dass es endgültig war. Niemals wieder würde sie ihn umarmen, niemals wieder seine Stimme vernehmen, sich an seiner Brust ausweinen, den Blick seiner hellen blauen Augen spüren. Bis zum Jüngsten Tag, an dem alle Christen vom Tode auferstehen und die Gerechten zu Gott dem Herrn aufsteigen.
Sie begann in Dinahs Armen hilflos zu schluchzen, und erst nach einer Weile verspürte sie eine warme Hand, die ihre herabhängende Rechte umschloss und sie sanft zusammenpresste. Es war nicht Dinahs Hand, sondern die Hand eines Mannes, und da nur Gottfried von Perche in ihrer Nähe stand, musste es die seine sein.
Sie blickte sich nicht um, als sie wieder zur Stadt zurückgingen, sie wollte nicht sehen, wie die beiden Knechte Sand und Geröll in die Grube schaufelten. Stattdessen starrte sie in den Himmel, an dem nicht eine einzige Wolke stand und dessen makellos blaue Farbe sich im Meer spiegelte. Die weiße Stadt und der helle Strand, das spärliche Grün der Wiesen und lichten Wälder im Inland, die bläulichen Hügel und Berge in der Ferne, wo ein zarter Dunst über der Landschaft lag – dies also war das Heilige Land, um dessen Besitz so viel gestritten und gestorben wurde. Das Land, auf dem Gottes Sohn gewandelt war, wo er seine Jünger fand, predigte und gekreuzigt wurde, um später vom Tode aufzuerstehen und gen Himmel zu fahren …
» Nicht hinsehen! Komm rasch hier herüber, Tiessa! «
Sie begriff nichts. Nur dass vor ihnen eine Menschenmenge das Stadttor verstopfte, weil sie atemlos irgendeinem Geschehen zusah. Junge Burschen, bleich und mit glänzendem Blick, Frauen, die sich ein Tuch vor Mund und Nase pressten, düster starrende Männer. Der Herr von Perche hatte ihren Arm gefasst und zerrte sie hinter sich her, teilte die dicht beieinanderstehenden Gaffer mit kräftigen Armen.
» Weiter! Folge mir. Rasch! «
Sie begann zu zittern. Etwas Grauenhaftes war im Gange, es lag auf den Gesichtern der Menschen, man erkannte es in ihren Gesten, las es in ihren aufgerissenen Augen, die von Schrecken und Faszination kündeten. Jetzt vernahm sie auch ein jammervolles Geschrei, und sie wollte stehen bleiben, doch Gottfried von Perche zog sie mit sich fort.
» Das werden sie nicht tun « , hörte sie jemanden im Vorbeilaufen sagen. » Das ist gegen jede Regel. «
» Doch nicht alle. Auch ihre Weiber und Kinder. «
» Der Herr sei uns gnädig. Saladin wird Rache üben. Es wird kein Christ aus muselmanischer Gefangenschaft zurückkehren. «
» Schau dir den Burschen an. Jeder Schlag ein Treffer. Wie die Kohlköpfe rollen sie davon. «
» Wenn er nur nicht müde wird und danebenhaut. «
» Ein Fest für Geier und Schakale. «
Sie hörte auch Dinahs ersticktes Schluchzen, sah Bertran mit totenbleichem Gesicht gegen die Mauer ihres Wohnhauses lehnen. Im Haus schrie eine der Frauen wie eine Besessene und wollte sich nicht beruhigen lassen.
» Richard Löwenherz « , murmelte Gottfried von Perche, und in seiner Stimme lag bitterer Spott. » Er ist ein Plantagenet. Voller Hochmut und Grausamkeit. Das Herz eines Löwen hätte er? Oh nein, er hat das Herz eines Schlächters! «
Gleich darauf wurde es Tiessa schlecht, ihr Magen stülpte sich um, die Beine knickten ein, sie lag auf den Knien und würgte. Als der Krampf sie endlich wieder freigab, tobte ein bohrender Schmerz in ihrem Schädel, und sie fror so stark, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Jemand trug sie die Treppe hinauf, Vorhänge wurden beiseitegehalten, eine helle Stimme rief nach Wasser und Wein. Dann spürte sie, wie die Kälte
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