Die Braut des Kreuzfahrers
Heiligen Land, da ihr Vater nicht mehr lebte? Sie stellte sich vor, wie sie nach Nogent-le-Rotrou zurückkehrte, in das Haus der Eltern, wo Millie und Jordan sie empfangen würden. Millie mit einem kleinen Knaben auf dem Arm. Jordan, der sie liebevoll an sich drückte und murmelte, er habe sie so schrecklich vermisst. Ach, Jordan war ein guter Kerl, seine Freude war ehrlich, Millie aber würde weniger beglückt sein. Hatte sie bisher nach Gutdünken schalten und walten können, so würde sie nach Tiessas Rückkehr gehorchen müssen, denn der Vater hatte Tiessa zur Erbin eingesetzt.
Und oben auf der Burg? Dort regierte in Abwesenheit ihres Ehemannes die Gräfin Richenza. Wenn Gottfried von Perche nicht zurückkehrte, würde sein jüngerer Bruder Stephan seine Stelle einnehmen. Vielleicht nahm er dann Richenza zur Frau – er war unverheiratet, doch man hatte unter vorgehaltener Hand von einer Kebsehe erzählt …
Sie fuhr zusammen, denn sie glaubte, ein leises Kratzen gehört zu haben. War jemand vor ihrer Tür? Schlief dort vielleicht die Magd, die der Herr von Perche für sie angestellt hatte? Das war möglich. Oder war es eine dieser widerlichen Ratten, der sie einmal im Flur begegnet war. Ein graues dürres Wesen mit spitzer Schnauze, das sie neugierig aus glänzenden, runden Augen angestarrt hatte und dann ohne Hast in einer Wandnische verschwand.
Von Dinahs Lager war ein leises Schnaufen zu hören, die Freundin drehte sich auf die andere Seite, kuschelte sich an das Kopfpolster und lag wieder still. Hatte sie das Kratzen auch gehört? Oder war sie nur kurz aus einem Traum erwacht, um gleich wieder in den tiefen Brunnen des Schlafs zu sinken?
Der Morgen ließ auf sich warten, dafür begann jetzt die kleine Öllampe zu flackern, vermutlich würde der Docht gleich sein Dasein beschließen und sie ganz und gar im Dunkeln lassen. Tiessa seufzte und schloss die Augen, doch ihr dummes Herzklopfen ließ ihr keine Ruhe. Wie still es in dem großen Haus war, sonst hatte man auch in der Nacht immer wieder Stimmen und Geräusche vernommen. Hier kehrte ein Ritter weinselig aus der Taverne zurück, dort wurde gesungen und gezecht, manchmal lamentierte ein Säugling oder zwei Tabulaspieler gerieten in Streit. Aber die Ritter und Knappen hatten die Stadt verlassen, und das Haus war wie ausgestorben.
Und wenn er doch zurückkehrt?, dachte sie, um sich von ihrer Angst abzulenken. Wäre es nicht besser, nach Tyros zu fahren und dort in Amicias Dienste zu treten? Gemeinsam mit den Frauen aus dem Perche auf Nachricht warten und vielleicht – warum eigentlich nicht – in ihrem Gefolge in das befreite Jerusalem einreiten. Dort würden Amicia von Vaudet und Vallette von Brionne ihre Ehemänner heil und gesund wiederfinden und man würde an Christi Grab beten. Sie, Tiessa, könnte auf diese Weise den sehnlichen Wunsch ihres Vaters erfüllen und für ihre verstorbene Mutter beten. Später würde sie als Magd des Herrn von Perche zurück in die Heimat reisen und wenigstens auf dieser Reise noch in seiner Nähe sein …
Ein Lufthauch löschte das flackernde Lichtlein, jemand hatte die Tür aufgestoßen. Da war es, das Unheimliche, das ihr Herz schon gespürt hatte. Tiessa kauerte sich zusammen, wollte vom Lager springen, um sich vor der vermummten Gestalt zu verbergen, doch ein fester Stoß gegen die Brust warf sie auf die Polster. Sie keuchte, rang nach Luft, wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Angriff, aber die Arme, die sie auf das Lager drückten, waren stärker. Sie hörte sich schreien, spürte einen Schmerz im Nacken, dann lockerte sich der Griff, und sie vernahm ein wütendes Zischen.
» Verdammte Hexe! «
Zwei Gestalten rangen miteinander, sie konnte sie ächzen hören, und sie begriff, dass es Dinah war, die sich auf den nächtlichen Eindringling geworfen hatte. Sie fuhr von ihrem Lager auf, um der Freundin beizustehen, da hatte der Angreifer die junge Frau von sich abgeschüttelt, versetzte ihr noch einen festen Stoß und huschte davon. Sie konnte seine Schritte hören, als er die Treppe hinunterlief. Danach vernahm sie jenes scharrende Geräusch, das sie aus dem Schlaf geweckt hatte. Es war die Eingangspforte, die über den Steinboden schleifte.
» Dinah! Dinah – ist dir etwas geschehen? «
Es schien eine unendlich lange Zeit zu vergehen, bis Dinah ihr Antwort gab.
» Es … es ist nicht schlimm. Was ist mit dir? «
» Ich weiß nicht … «
Jetzt endlich drang das erste, noch fahle Morgenlicht zum
Weitere Kostenlose Bücher