Die Braut des Kreuzfahrers
«
Er schien nicht zornig über ihre freimütigen Reden, ganz im Gegenteil. Er umschlang sie fester, und sie spürte, wie rasch sein Herz schlug. Eine Weile schwieg er, schien in Gedanken versunken, und auch sie sagte kein Wort. Er hatte ihr sein Inneres weit geöffnet, doch es gab auch Dinge, die er vor ihr verbarg. Dazu gehörte alles, was seine Ehefrau betraf, die schöne Richenza, die von solch edler Herkunft und harter Gesinnung war. Tiessa wusste, dass er seine Frau liebte, denn als sie damals krank darniederlag, war er vor Sorge um sie fast gestorben. Richenza war diejenige, die sein Herz besaß, sie, Tiessa, hatte nur seinen Körper und einen Teil seiner Gedanken. Doch auch das war nur geliehen, und sie würde es zurückgeben müssen, wenn sie erst in der Heimat waren.
» Es ist nicht die Befreiung der Heiligen Stadt, die Richard Löwenherz nach Outremer getrieben hat « , nahm Gottfried den Faden wieder auf. » Es ist das Königreich Jerusalem, es ist Sizilien, es ist Zypern, und vielleicht wird es bald auch Ägypten sein. «
Sie begriff nicht gleich. Gewiss, man hatte darüber gesprochen, dass der Löwenherz Sizilien und Zypern erobert hätte, doch dann war er vor Akkon gelandet, um die Stadt zu belagern.
» Richtig. Und jetzt ist er wohl noch in Askalon, nachdem er Saladin fast alle Küstenstädte wieder entrissen hat. Und weshalb? Um damit Gott dem Herrn und dem christlichen Glauben aufzuhelfen? Das heilige Jerusalem zu befreien? Keineswegs! «
» Aber … aber das war doch das Ziel des Kreuzzuges. Dafür sind so viele Ritter aus ihrer Heimat hierhergezogen, und nicht wenige haben dabei ihr Leben verloren. «
» Sie starben nicht für Jerusalem, Tiessa « , sagte er bitter. » Sie starben für die Geschäftemacher aus Genua und Pisa, die jetzt wieder ungehindert alle Häfen nutzen können. Sie starben dafür, dass der Handel im Mittelmeer den Kreuzfahrerstaaten wieder eine Menge Zölle und Abgaben einbringt. Für die Habsucht der Könige und Kaufleute haben sie ihr Leben gelassen – dafür sind sie ins Heilige Land gezogen, an Seuchen verreckt, verblutet, verhungert und bei Hattin elend verschmachtet. «
Tiessa wusste zunächst nichts zu antworten. Sie hatte hin und wieder auch solche Überlegungen angestellt, doch in dieser schonungslosen Klarheit hatte sie die Dinge noch nicht betrachtet. Es erschien ihr übertrieben und schmerzte sie.
» Aber – hat nicht der Glaube all diese Ritter ins Heilige Land getrieben? Der französische König, der englische König und auch Barbarossa, der sein Leben schon auf dem Weg dorthin verlor – sie alle haben dem Papst ihren Schwur geleistet und waren entschlossen, für den christlichen Glauben zu streiten. «
» Das ist nur zum Teil die Wahrheit, Tiessa. Sie kamen, um für den Glauben zu kämpfen, aber jeder von ihnen war sorgsam darauf bedacht, seine Pfründe zu wahren. Es ist der leidige Streit um Macht und Einfluss, der auch die Kreuzfahrerstaaten zerrissen hat. Auf der einen Seite stehen Konrad von Montferrat und die Kaufleute aus Genua, die sich zum französischen König bekennen – auf der Gegenseite findest du Guido von Lusignan und die Kaufleute aus Pisa, die von Richard Löwenherz gestützt werden. «
Er erinnerte sie daran, wie heftig der Zwist zwischen den Königen in Akkon aufflammte, kaum dass man die Stadt eingenommen hatte.
» Nicht nur die Könige zankten sich « , meinte sie. » Auch die Ritter und sogar die einfachen Kämpfer gerieten im Streit um die Beute aneinander. Sie haben die Menschen ausgeplündert, ganz gleich, ob es Christen, Juden oder Muselmanen waren. Und die Frauen, die ihnen über den Weg liefen … «
» Ich weiß, Tiessa. Es ist viel Unrecht geschehen. Vielleicht hat Gott der Herr deshalb beschlossen, dass wir die Heilige Stadt niemals zurückerobern werden, weil wir ihrer nicht würdig sind. «
» Müssen wir denn Jerusalem unbedingt besitzen? « , fragte sie nachdenklich.
Er lachte kurz auf und schien ihre Frage als einen guten Scherz zu betrachten. Einen Moment später wurde er jedoch von tiefer Traurigkeit erfasst.
» Wie kannst du das fragen? Das heilige Jerusalem ist das Kostbarste, das die Erde hervorgebracht hat. Der Mittelpunkt der Welt, Vorgeschmack des Paradieses, der Ort, zu dem wir alle uns hinwenden, wenn wir beten, denn unser Herr Jesus Christus ist dort gestorben und zum Himmel aufgefahren. Wie kann es sein, dass diese heilige Stätte den Muselmanen gehört? «
Er hatte mit großer Ernsthaftigkeit
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