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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Materie verkörpert.
    Der Alte war
sich sicher, dass Kamose ihm nicht alles gesagt hatte. Die Liebe zu seinen
Eltern war offensichtlich. Aber er hegte nicht nur diese Liebe allein…
    Der Alte hätte
eine Verwaltungsuntersuchung im Katasteramt veranlassen können. Aber die Sache
schien ihm merkwürdig, fast fragwürdig. Und außerdem würde Kamose nur glauben,
was seine Augen sehen würden. Folglich würde man anders vorgehen müssen.
    Der Alte sah
voraus, dass sich dramatische Ereignisse ankündigten.

 
    11
     
     
     
    Kamose hatte
die Arbeit nicht aufgegeben.
    Daher fand er
sich bald unter etwa fünfzig Jungen wieder, die einberufen worden waren, um die
erste Prüfung zur Befähigung des Schreiberamtes abzulegen. Sie fand in einem
der Höfe des Tempels von Karnak statt. Kamose trug ein ganz schlichtes weißes
Gewand, über dessen Nüchternheit ein paar der elegant gekleideten Jungen
lächelten. Einer von ihnen näherte sich und sah Kamose herablassend an.
    »Ich bin der
Sohn des Bürgermeisters von Theben. Wer bist denn du?«
    »Der Sohn von
Geru und Nedjemet.«
    »Ich kenne
diese Adligen nicht. Wo befindet sich ihre Villa?«
    »Sie besitzen
keine Villa, sondern einen kleinen Bauernhof. Sie sind Bauern.«
    Der Sohn des
Bürgermeisters von Theben war verblüfft.
    »Bauern… Ja,
wer hat dir denn erlaubt, hier zu sein? Diese Prüfung ist den Kindern von
Adligen vorbehalten!«
    »›Sprich nur
mit Gelehrteren als du es bist‹, hat mir mein Lehrer empfohlen. Du wirst
verstehen, dass ich dieses Gespräch abbrechen muss.«
    Der Sohn des
obersten thebanischen Beamten war zunächst stumm vor Entrüstung, dann packte
ihn so heftige Wut, dass die Prüfungsschreiber auf ihn aufmerksam wurden.
    Er beschwerte
sich bei ihnen über das Verhalten dieses Bauern, der wohl irrtümlich zu der
Prüfung zugelassen worden war.
    Der junge
Adlige musste klein beigeben. Kamose war nicht nur für befähigt erkannt worden,
die Prüfung zu absolvieren, sondern trat sogar als Schüler des Alten an, des
unnachgiebigsten aller alten Gelehrten von Karnak, von seinen Schülern ebenso
gefürchtet wie von seinesgleichen. Ging nicht das Gerücht, der Alte habe Ramses
den Großen höchstpersönlich zur Ordnung gerufen, als dieser die Hieroglyphen
lernte?
    Sofort
begannen die anderen Kandidaten, Kamose neugierig zu mustern. Wie hatte dieser
Bauernlümmel, der einer unbekannten, völlig mittellosen Familie angehörte, das
Vertrauen des Alten gewinnen können?
    Kamose, der
es dank seiner Erfahrung als Handwerker gewohnt war, sich zu konzentrieren,
ließ sich von dem Vorfall nicht ablenken. Er setzte sich in der Haltung der
Schreiber, die Beine vor sich verschränkt, den Kopf leicht gesenkt.
    Das Thema
erwies sich als ausgesprochen schwierig. Zunächst sollte man einen Text in
Spalten schreiben und ihn dann ohne die geringste Worthilfe übersetzen.
    Einige
Kandidaten verloren sofort den Mut. Andere wurden Opfer ihrer Hast. Kamose nahm
sich Zeit nachzudenken. Statt sein Gedächtnis zu quälen, ließ er seine
Intuition sprechen.
    Einige Worte
waren Kamose unbekannt. Er erschloss sich ihre Bedeutung aus dem Kontext. Als
er seine Übersetzung noch einmal durchlas, musste er lächeln.
    »Die Pferde
müssen gut dressiert werden. Die Hausaffen lernen zu tanzen, die Hunde zu
gehorchen. Die Schüler sind von Natur aus unwissend und undiszipliniert. Nur
der, der jeden Tag lernt und die kleinen Aufgaben nicht vernachlässigt, wird
stark. Ein einziger Tag der Nachlässigkeit genügt, und es kommt zur Züchtigung.
Das Ohr des Schülers ist sein Rücken. Wenn er den Stock gespürt hat, wird er aufmerksamer.
Er versteht, dass man nur vorankommt, wenn man mit seinen Meistern spricht.
Mögen diese Worte vom Herzen gehört werden, und mögen sie von Nutzen sein!«
    Die Prüfer
gingen durch die Reihen und sonderten die Kandidaten aus, die den Anforderungen
nicht genügten. Nur zehn blieben übrig, darunter Kamose. Man forderte ihn auf,
sich zu erheben. Nach kurzem Warten wurde er vor eine Jury älterer Männer
geführt.
     
     
    »Was denkst
du über den Text, den du übersetzt hast?«, fragte einer von ihnen.
    »Er ist
richtig und gut.«
    »Du
befürwortest also Stockschläge?«
    »Wenn sie
gerechtfertigt sind: ja.«
    »Wann sind
sie gerechtfertigt?«
    »Wenn eine
Aufgabe vernachlässigt wurde.«
    »Bist du
sicher, keine einzige vernachlässigt zu haben?«
    Kamose
spürte, dass er in der Falle saß.
    »Ich habe
versucht, meine Tätigkeit korrekt auszuüben.«
    »Der

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