Die Braut des Nil
Wesir Ptahhotep
seine Erinnerungen zu verfassen. Letzterer hatte hundertzehn Jahre gewartet,
bevor er seine Ratschläge an die Jugend niedergeschrieben hatte. Noch nie war
dem Alten ein so unbeugsamer, so ungestümer Junge begegnet wie Kamose. Doch in
Wahrheit hatte er ihn geradezu erwartet. Er hatte keinen rechten Gefallen mehr
am Unterricht, da die Söhne der Adligen ihm langweilig und charakterlos
erschienen. Kamose hatte sich ein Ziel gesetzt. Er beging alle nur
vorstellbaren Unvorsichtigkeiten, um es zu erreichen. Das war seine Prüfung,
sein Weg, um vom Kind zum Erwachsenen zu reifen. Erfolg oder Misserfolg lag in
den Händen der Götter. Und ein wenig in denen Kamoses.
Ganz wie er
seinem Schüler verraten hatte, musste der Alte sein Büro nicht verlassen, um zu
erfahren, was sich in der Welt draußen tat. Er war gut genug mit den
menschlichen Leidenschaften vertraut, um zu wissen, welche Folgen sie
hervorrufen konnten. Alles Weitere las er in den Hieroglyphen, den göttlichen
Zeichen. Sie enthielten die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.
Kamose hatte
das Verwaltungsviertel ohne Schwierigkeiten verlassen und in einem Bierhaus in
der Vorstadt Thebens Zuflucht gesucht, einer Art Schenke, die die ganze Nacht
geöffnet hatte. Leicht betrunken war er eingeschlafen.
Mit schwerem
Kopf war er erwacht.
Die Sonne, die
er doch so mochte, erschien ihm unerträglich. Kamose lief aufs Geratewohl vor
sich hin und hoffte, auf diese Weise die Kopfschmerzen zu vertreiben, die ihm
in den Schläfen pochten. Er bereute es, genau in dem Moment schwach gewesen zu
sein, in dem er all seine Sinne brauchte, um eine Entscheidung zu treffen, die
den Lauf seines Lebens wahrscheinlich ändern würde. Aber in welche Richtung?
In den
Straßen von Theben spielten fröhliche Kinder. Adlige Damen wurden in Sänften
umhergetragen. Mütter unterhielten sich von einem Haus zum anderen. Kamose
mischte sich unter, die Menge, da er fürchtete, von einem Aufseher gesucht zu
werden, der sich gut mit dem Gebrauch seines Stocks auskannte.
Aber seine
Überlegungen hatten den jungen Mann zu einem Entschluss geführt. Der Grund für
die Verarmung seiner Eltern lag in einer ungerechten Gesellschaft, in der
allein die Reichen und ihre Kinder über unantastbare Privilegien verfügten.
Einer der Reichen, einer der mächtigsten unter ihnen, würde folglich seinen
Eltern das Hab und Gut zurückerstatten, um das man sie gebracht hatte.
Kamose lief
die Kais auf der Suche nach dem Fischer aus seinem Dorf ab, der regelmäßig in
die Hauptstadt kam, um seine Fische zu verkaufen. Er sah, wie ein mit großen
Tonkrügen beladenes Schiff entladen wurde, begegnete zahlreichen Hafenarbeitern
und entdeckte endlich den Freund seiner Eltern.
»Bist du
nicht in der Schreiberschule?«, fragte der Fischer verwundert, der von Kamose
regelmäßig über den Verlauf seiner Karriere informiert wurde.
»Heute ist ein
freier Tag.«
»Deine Eltern
sind stolz auf dich. Sie sind glücklich, dass du das Dorf verlassen hast. Sie
bedauern es, dass sie dein Verhalten missbilligt haben.«
»Sag ihnen
unbedingt, dass ich sie nicht aufgebe.«
»Du siehst
müde aus«, bemerkte der Fischer. »Hast du womöglich Sorgen?«
»Es geht mir gut. Beruhige
meine Eltern.«
»Das werde
ich tun.«
Der Fischer
entfernte sich. Er hatte Kamose nicht gestanden, dass die Kräfte seines Vaters
nachließen und die blendende Gesundheit seiner Mutter von Erschöpfung und Sorge
angegriffen wurde. Es war besser, den jungen Mann nicht zu ängstigen. Die
Studien, die der Bauernsohn betrieb, erforderten ungebremsten Mut.
Zahlreiche
Menschen drängten sich an einer der größten Landungsbrücken der Hauptstadt. Ein
Provinzfürst näherte sich mit seinem Gefolge Karnak. Er brachte Gold und
Gewürze aus dem Süden. Am Ende seiner Handelsreise würde er von Ramses dem
Großen empfangen werden.
Kamose
entdeckte den jungen Adligen, mit dem er sich über das Katasteramt unterhalten
hatte. Der Schreiberlehrling schien sich zu langweilen.
Die beiden
entfernten sich etwas von der Menge.
»Mir graut
vor dieser Masse«, erklärte der junge Mann. »Ich lese lieber. Diese
Pflichtgratulationen sind immer dieselben. Ich bin erstaunt, dass du hier bist,
Kamose. Interessierst du dich etwa für gesellschaftliche Ereignisse?«
»Ich bin
zufällig hier. Du hast von Richter Rensi gesprochen… Weißt du, wo er wohnt?«
»Natürlich.
Er bewohnt das schönste Haus der Stadt im Viertel der Adligen. Davor
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