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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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dich denn so für das Kataster? Das ist doch wirklich ein
langweiliges Thema. Magst du nicht lieber mit mir das Märchen von Sinuhe lesen?
Das ist ein so herrlicher Text voller unerwarteter Wendungen.«
    »Aber gern!«
     
     
    Die drei
Ausbildungswochen waren beendet. Die Schreiberlehrlinge wurden getrennt.
    Der Alte
schrieb weiter an den Hieroglyphen des Totenbuchs, das der König bei ihm
bestellt hatte. Kamose hätte seit zwei Tagen bei ihm sein sollen. Wenn einer
seiner Schüler fehlte, rief der Alte sofort den Sicherheitsdienst des Tempels,
der den Schuldigen suchte und ihn ohne Rücksicht auf Einwände zu seinem Lehrer
zurückbrachte. Er erhielt dann eine dem Vergehen entsprechende Strafe. Dieses
Mal unternahm der Alte keinerlei Aktion gegen den Schuldigen. Alles verlief wie
geplant.

 
    12
     
     
     
    Das Viertel
der Ministerien wurde Tag und Nacht von der Polizei bewacht, aber sie war
nachsichtig. Seit Jahrzehnten war es in Ägypten und seiner Hauptstadt sehr
ruhig. Unter der Herrschaft von Ramses dem Großen erlebte die Bevölkerung
glückliche Tage.
    Die Aufseher,
die mit der Bewachung des Schatzamtes betraut waren, schenkten der flüchtigen
Silhouette, die zunächst durch eine am Ministerium vorbeiführende Gasse
gehuscht war und dann von Terrasse zu Terrasse sprang, nicht die geringste
Aufmerksamkeit.
    Zwei Tage
hatte Kamose damit verbracht, die genauen Informationen zu bekommen, die er
brauchte. Er hatte die Einladung des jungen literaturbegeisterten Adligen
angenommen und das Gespräch immer wieder mit Fragen nach der Außenstelle des
Katasteramts unterbrochen.
    Der junge
Mann wusste, dass er Unrecht tat. Er hätte in den Tempel zurückkehren und dem
Alten von seinem Unterricht berichten sollen. Aber die Gelegenheit war zu
günstig. Mit ein klein wenig Glück würde er die Archive finden, die für sein
Dorf zuständig waren, und den Fehler, der zum Unglück seiner Familie geführt
hatte, belegen können.
    Die Angst
schnürte Kamose die Kehle zu. Würde sein Plan misslingen, so wären
Stockschläge, Gefängnis und unehrenhafte Entlassung die Folge. Seine Eltern
würden vor Kummer sterben.
    Das Klettern
schreckte den jungen Mann nicht. Er hatte vor, auf die Dächer zu schleichen und
durch ein hoch gelegenes Fenster in die Ministerialbüros einzudringen. Er
bewahrte ruhig Blut und verfuhr mit größter Langsamkeit, wobei er auf das
geringste Geräusch achtete. Die Aufseher überwachten die Hauptzugänge und die von
den Ministern und Würdenträgern benutzten Räumlichkeiten. Die Archive wurden
weniger aufmerksam bewacht. Zweimal pro Nacht machte ein Aufseher einen
Rundgang.
    In der Ecke
eines Ganges zusammengekauert, wartete Kamose, bis der Aufseher mit seiner
Kontrolle fertig war. Barfuß ging er ohne Eile zum ersten Saal. In aufeinander
gestapelten Kisten befanden sich dort zahlreiche Papyrusrollen.
    Kamose entrollte die erste.
    Sie enthielt
Skizzen und geometrische Pläne. Auf den ersten Blick konnte er erkennen, dass es
sich um den Plan seines Dorfes und die Verteilung von Grund und Boden handelte.
    Der junge
Mann unterdrückte einen Freudenschrei. Er brauchte nur die Kommentare der
Verwaltung zu lesen, um die Namen der rechtmäßigen Besitzer herauszufinden.
Doch dann erblasste er. Seine Enttäuschung war so gewaltig wie zuvor seine
Hoffnung: Die Texte waren in einer Schrift geschrieben, die er nicht lesen
konnte. Die Schrift der Verwaltung, die sein Lehrer ihm hoch nicht beigebracht
hatte…
    Wäre er
vernünftig gewesen, so wäre Kamose sofort in den Tempel zurückgekehrt und hätte
den Alten um Verzeihung gebeten. Sicherlich hätte er Stockschläge und eine Rüge
erhalten, an die er sich noch lange erinnert hätte.
    Aber der
junge Mann hörte nicht mehr auf seinen Verstand. Die Enttäuschung war zu groß.
Er ertrug es nicht mehr, in Unwissenheit zu leben und seine Eltern in Kummer zu
wissen. Handwerker, Schreiber… Alle Wege, die er eingeschlagen hatte, waren
Sackgassen. Sie erforderten zu viel Zeit. Kamose hatte beschlossen zu handeln.
    Die Braut des
Nil hatte ihm die Liebe entdeckt, die Liebe, die sein Schicksal ändern würde.
    Der Alte
schlief nur noch zwei oder drei Stunden pro Nacht. Obwohl er Hunderte von
heiligen Texten entziffert hatte und an der Abfassung weiterer hundert
beteiligt gewesen war, hatte er den Eindruck, nur einen Zipfel des Schleiers
der Erkenntnis angehoben zu haben. Mit fünfundachtzig Jahren hatte der Alte
noch nicht das richtige Alter erreicht, um wie der berühmte

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