Die Braut des Normannen
letzten Wochen rund um das Kloster postiert waren, stießen zu der Truppe – jetzt waren es über siebzig Männer.
Einer der Krieger löste sich aus der Gruppe und trieb seinen Hengst den Hügel hinauf. Nach der Größe des Pferdes und des Reiters zu schließen, war es Royce.
Er war also doch gekommen, um sie zu holen.
Nichola zog sich vom Fenster zurück, behielt den Ankömmling aber im Auge. Das Sonnenlicht blitzte auf dem Helm, dessen Visier geöffnet war, und auf den Eisengliedern seines Kettenhemds. Es war tiefster Winter, und trotzdem hatte Royce bloße Arme. Nichola fröstelte – plötzlich erschien ihr dieser Mann unbesiegbar.
Sie schüttelte den Kopf. Er ist nur ein Mann, rief sie sich ins Gedächtnis – ein Mann, der sich in der Kälte bald den Tod holen würde, wie sie hoffte. Nichola sah das Schwert an seiner Seite, aber nirgendwo entdeckte sie einen Schild. Er war gerüstet für eine Schlacht – oder für eine Reise durch feindliches Land nach London.
Royce zügelte seinen Hengst, blieb eine Weile reglos sitzen und betrachtete das Kloster.
Worauf wartete er? Dachte er wirklich, sie würde freiwillig herauskommen? Sie wiegte den Kopf hin und her und lächelte. Der Normanne konnte für den Rest seiner Tage auf seinem Schlachtroß sitzen, ohne daß sie auch nur einen Gedanken an ihn verschwendete. So leicht konnte man sie beileibe nicht einschüchtern.
Royce schickte einen Boten zum Eisentor und wartete, bis er sicher sein konnte, daß Nichola von seiner Ankunft unterrichtet worden war.
Die Äbtissin fand Nichola noch immer neben dem Fenster stehend vor. »Baron Royce fordert dich auf, aus dem Fenster zu schauen, Nichola. Er sagt, daß er eine Nachricht für dich hat.«
Nichola rückte direkt vor die Fensteröffnung, so daß Royce sie sehen konnte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich, einen strengen und unversöhnlichen Eindruck zu machen, und obwohl sie nicht sicher war, daß er ihre Miene auf diese Entfernung sehen konnte, wollte sie nichts dem Zufall überlassen. Sie hatte Angst, ja, aber das konnte der Normanne nicht wissen. Außerdem, sagte sie sich selbst, hat er nichts in der Hand, womit er mich zu etwas zwingen kann.
Als Royce sie im Fenster entdeckte, schob er behutsam die schweren Decken beiseite, um ihr das Baby, das er in den Armen hielt, zu zeigen.
Ulric hatte bis jetzt friedlich geschlafen, aber als er die kalte Luft spürte, verzog er das kleine Gesicht. »In einer Minute hast du's wieder warm«, versprach Royce.
Er hob das Baby hoch und wartete auf eine Reaktion. Es dauerte keine Sekunde, bis Nichola vom Fenster verschwand und ein entrüsteter Schrei die Stille zerriß.
Ulric holte tief Luft, um in lautes Gebrüll auszubrechen, aber Royce wickelte ihn schnell wieder in die Decke. Die Wärme besänftigte das Baby, und es saugte zufrieden an seinem geballten Fäustchen.
Das schmatzende Geräusch brachte Royce zum Lächeln. Er zog die Decke so weit zurück, daß er das Gesicht des Kleinen sehen konnte, und wurde mit einem Strahlen belohnt. Vier blitzende weiße Zähnchen – zwei oben, zwei unten – wurden sichtbar, als Ulric die Faust aus dem Mund nahm, und das Kinn und die Wangen des Babys waren mit Speichel verschmiert. Royce wischte unbeholfen die Feuchtigkeit weg, ehe er den Kleinen wieder fürsorglich zudeckte.
Ulric paßte das gar nicht. Er spannte den Rücken an, brüllte unmutig und begann zu strampeln.
Royce hatte keine Ahnung, wie man mit so kleinen Kindern umging. Mit dem Nachwuchs seiner drei jüngeren Schwestern hatte er sich nie abgegeben, und er wußte nicht einmal genau, wie viele Nichten und Neffen er inzwischen hatte. Ihm war überhaupt nicht klar, warum sich Ulric so aufregte – er war warm eingewickelt, und ihm drohte keinerlei Gefahr, das müßte ihm doch genügen. Royce hatte mit dem Aufbruch sogar geduldig gewartet, bis die Dienerin Clarise das Kind zu Ende gefüttert hatte. Das Baby hatte eigentlich keinen Grund, sich zu beklagen.
Er zog die Decke wieder von dem Gesicht des Kleinen und befahl mit leiser, aber fester Stimme: »Schlaf jetzt.«
Ulric hörte nur so lange auf zu schreien, um Royce anzulächeln, dann heulte er weiter. Das Kind sah so komisch mit den nach allen Seiten abstehenden Haaren aus, daß Royce nicht anders konnte, als zurückzulächeln, ehe er sich entschied, sich lange genug mit dem Kind beschäftigt zu haben, und die Decke erneut über das Babygesicht zog. »Jetzt wirst du aber schlafen.«
Ulric
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