Die Braut des Normannen
»Genauso wichtig wie mir deine Gefühle sind«, erwiderte sie ernst. »Warum überrascht dich das? Eine Frau sollte Rücksicht auf ihren Mann nehmen, das gehört sich doch so, oder nicht?«
Royce starrte sie an, als hätte sie in einer fremden Sprache gesprochen. Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuß auf die gerunzelte Stirn.
Diese spontane Reaktion machte ihn sprachlos, und Nichola wich verlegen zurück, um schnell Distanz zwischen ihn und sich zu bringen. Aber er hielt ihren Arm fest.
»Erzähl mir von den anderen Figuren«, forderte er mit rauher Stimme.
»Möchtest du wirklich etwas darüber erfahren, oder bist du nur höflich?«
Er grinste. »Ich bin nie höflich, erinnerst du dich? Ich bin ungehobelt.«
Seine Augen blitzten schalkhaft. »Weißt du«, sagte sie, »daß du bezaubernde silberne Pünktchen in den Augen hast?«
Er schüttelte den Kopf, und sie errötete tief, bevor sie sich Hugh gegenüber an den Tisch setzte. »Sieh mal, wie schief die weiße Dame steht. Justin versuchte den Fuß glattzuschleifen. Damals war er acht oder neun Jahre alt, und Papa war nicht einmal böse mit ihm. Er sagte, Justin wollte ihm nur helfen. Die ganze Familie hat mitgeholfen, die Figuren herzustellen.«
»Und was hast du getan?« wollte Royce wissen.
»Mutter und ich hatten die Aufgabe, die Schnitzereien zu polieren und anzumalen. Die weißen habe ich bemalt, die schwarzen meine Mutter.«
»Es sind wunderschöne Figuren«, sagte Hugh und fügte streng hinzu: »Aber jetzt ist Schluß mit der Plauderei, Nichola, wir wollen spielen.«
»Ihr seid unser Gast«, meinte Nichola. »Also dürft Ihr den ersten Zug machen.«
Hugh nickte. »Macht Euch auf eine Niederlage gefaßt.«
»Ich bin vorbereitet.« Nichola zwinkerte Royce zu und fuhr fort:
»Einige meiner liebsten Erinnerungen sind mit diesen Schachfiguren verknüpft. Sie gehören zu den wenigen Dingen, die mir von meinen Eltern geblieben sind. Ich werde mir all die Geschichten merken und sie später unseren Kindern erzählen, Royce.«
Hugh dachte gute fünf Minuten über seinen Eröffnungszug nach, dann setzte er endlich. Nichola warf nur einen flüchtigen Blick auf das Brett und schob einen Bauern vor.
»Traditionen sind sehr wichtig für dich, nicht wahr?« fragte Royce.
Hugh trommelte mit den Fingern auf den Tisch, während er überlegte und konzentriert die Stirn runzelte. Nichola flüsterte, um ihn nicht zu stören: »Ja, sehr wichtig. Und was bedeuten dir Traditionen und Gebräuche?«
»Der Brauch, stets die Wahrheit zu sagen, bedeutet mir sehr viel.«
Sie sah ihn mißmutig an, und als Hugh eine Figur verschob, konterte sie sofort.
»Aber sind andere Traditionen auch wichtig für dich?« bohrte sie weiter.
Er zuckte mit den Schultern. »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Dieses Spiel ist wichtig für mich«, brummte Hugh. »Hört auf mit dem Geplänkel, Nichola. Ihr müßt Euch auf das konzentrieren, was Ihr tut«.
Beide Spieler machten drei Züge, bevor sich Nichola wieder an Royce wandte. Er beobachtete das Spiel, und Nichola hatte bemerkt, daß er jedesmal, wenn sie eine Figur verschob, lächelte. Sie fragte sich, was er wohl dachte.
»Sie sollten dir wichtig sein«, sprudelte sie hervor.
»Was?«
»Traditionen.«
»Warum?« Royce neigte sich näher zu ihr.
»Weil sie mir viel bedeuten. Schach, Hugh.«
»Ich kann noch nicht schach stehen«, protestierte Hugh.
Sie sah ihn mitfühlend an. »Euer König wird bedroht und kann nicht mehr ausweichen. Ihr seid matt.«
»O nein«, jammerte er.
Nichola zog mit ihrem Läufer und kippte Hughs König um.
Royce konnte kaum glauben, was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte. Er hätte sie nie für so klug und umsichtig gehalten. Sie hatte brillant gespielt.
Hugh legte niedergeschlagen den Kopf auf die Arme. »Ihr habt nicht mehr als acht Züge gebraucht, um mich matt zu setzen.«
Nichola tätschelte ihm die Schulter. »Ihr werdet mit jedem Spiel besser, Hugh.«
Er richtete sich auf. »Nein, das stimmt nicht«, knurrte er. »Aber es ist sehr nett von Euch, daß Ihr mich mit dieser Lüge trösten wollt, Nichola.«
»Ich lüge nicht«, versicherte sie hastig und warf dabei einen verstohlenen Blick auf ihren Mann. »Ihr habt Euch wirklich verbessert.«
Hugh schnaubte, stand auf und verbeugte sich formvollendet vor Nichola, ehe er sich zurückzog. »Mir wird deine Frau mehr fehlen als du, Royce«, rief er, als er zur Tür marschierte.
»Bei Hofe gilt Hugh als sehr guter
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