Die Braut des Normannen
keinen Fall auf die letzte Gelegenheit, mit Nichola Schach zu spielen, verzichten. »Ich bin mir nicht zu schade, dich anzuflehen, Royce«, sagte er.
Der alte Baron sah aus wie ein Kind, dem man die Süßigkeiten weggenommen hatte, und Nichola fand es abscheulich, ihm seinen letzten Abend zu verderben.
»Ich könnte ein ganz schnelles Spiel machen«, schlug sie vor. »Es kostet mich nicht viel Zeit, Hugh zu schlagen. Du könntest mir deine Strafpredigt halten, während wir spielen, Royce.«
Für sie klang dieses Angebot sehr vernünftig, aber Royce war offensichtlich nicht ihrer Meinung – sein Blick war vernichtend. »Ich will dir keine Strafpredigt halten«, versetzte er barsch. »Wir beide werden eine Unterredung haben, wie ich schon sagte«
Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu und hätte sogar geschnaubt, wenn es nicht unschicklich gewesen wäre. »So eine Unterredung, wie wir sie auf dem Weg nach London hatten, und bei der du unaufhörlich gesprochen hast und ich nichts anderes tun konnte als zuhören?« Sie gab ihm keine Zeit für eine Erwiderung und wandte sich an Hugh. »Für mich ist das eine Strafpredigt«, sagte sie.
Hugh verbiß sich das Lachen. Nichola hatte es augenscheinlich darauf abgesehen, Royce zu reizen, und Royce schien keineswegs glücklich darüber zu sein. Er ließ ihre Hand los, lehnte sich zurück and verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick hätte das ganze Zimmer in Brand setzen können.
Nichola strahlte immer noch und dachte gar nicht daran, nachzugeben. Der Mann hatte vor, ihr eine Strafpredigt zu halten, und sie wollte, daß er es zugab. »Übrigens, das war nur eine Feststellung«, fügte sie hinzu.
Diese Frau hatte keinerlei Disziplin – es war ungehörig, ihm in Gegenwart eines Gastes zu widersprechen. Dabei spielte es gar keine Rolle, daß Hugh ein guter Freund war. Die Dinge, die er mit ihr besprechen wollte, waren persönlicher Natur und gehörten unter die Kategorie »Familienangelegenheiten«. Sie sollte wirklich etwas mehr Verstand beweisen und einen Außenseiter nicht mit ihren privaten Problemen behelligen.
»Ihr könnt eine Schachpartie spielen«, sagte er. »Aber nur eine. Bist du einverstanden, Hugh?«
Sein Freund lief schon zum Kamin, um die Holzfiguren vom Sims zu holen, und rieb sich die Hände vor Freude.
Nichola lächelte und drehte sich zu Royce. »Ich bin auch einverstanden«, erklärte sie.
Royce zog eine Augenbraue hoch. »Einverstanden womit?«
»Mit nur einer Partie.«
»Ich habe dich nicht um deine Zustimmung gebeten, Nichola«, erklärte er lächelnd.
Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal ist es wirklich schwer, mit dir zurecht zu kommen, Royce.«
»Nur manchmal?«
Als Alice in die Halle huschte, um den Tisch abzuräumen, war Nichola froh über die Unterbrechung. »Ich hoffe, daß sich deine Stimmung bald bessert«, wisperte sie, ehe sie aufstand und Alice half.
Sobald der Tisch abgewischt war, brachte Hugh das Schachbrett und stellte die Figuren auf. Eine der kleinen Statuen fiel auf den Boden, und Nichola erschrak. »Bitte seid vorsichtig, Hugh. Mein Vater hat die Figuren geschnitzt, ich möchte nicht, daß sie kaputtgehen.«
Hugh hob die Figur auf und begutachtete sie, dann polierte er sie mit seinem Ärmel. »Sie ist so gut wie neu, Nichola. Euer Vater hat sie wirklich selbst geschnitzt? Sieh dir das an, Royce. Es ist ein Meisterwerk. Sieh nur die Details an dieser Krone. Euer Vater hatte sehr geschickte Hände, Nichola.«
Royce nahm die Figur in die Hand und hielt sie näher an die Kerze, um sie besser sehen zu können. Nichola stellte sich hinter ihn, legte eine Hand auf seine Schulter und beugte sich auch vor. »Siehst du die kleine Kerbe in der Krone der Dame? Ich erinnere mich noch genau, wie das passiert ist. Als er die Figur schnitzte, erzählte uns Papa ein lustige Geschichte, die wir alle schon bestimmt ein dutzendmal gehört haben, und als die Geschichte zu Ende war, lachte er so sehr, daß er sich in den Finger schnitt und das Messer ins Holz drang – genau hier.« Sie lehnte sich weit über Royces Schulter und deutet auf den kleinen Schönheitsfehler.
Die Freude in ihrer Stimme wärmte sein Herz. »Und habt ihr alle mit eurem Vater gelacht, obwohl ihr die Geschichte schon längst kanntet?«
Ihre Augen blitzten vor Vergnügen. »Natürlich haben wir gelacht. Mutter meinte, es würde Papas Gefühle verletzen, wenn wir es nicht täten.«
»Waren seine Gefühle deiner Mutter denn so wichtig?«
Nichola nickte.
Weitere Kostenlose Bücher