Die Braut des Piraten
Verpflichtungen, die ihr Stand ihr auferlegte, gebührend nachzukommen. Olivia litt unter seinem kalten Ton, konnte aber nichts tun, um die Stimmung zu ändern. Sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Sie hatte das Gefühl, ihre Haut sei auf ihrem Knochengerüst geschrumpft und für sie zu klein geworden.
»Mein Vater ist nicht da.« Aber man würde nach ihm geschickt haben, dachte sie. Gleich nach ihrem Verschwinden würde Phoebe ihn benachrichtigt haben, sodass er jetzt sehr wohl zu Hause sein konnte. Würde es auch noch so schwer sein, ihm gegenüberzutreten und ihn zu belügen, so war es doch nicht so schlimm, wie jetzt mit dem Piraten zusammen zu sein.
Diesen
Mann kannte Olivia nicht. Der Herr der
Wind Dancer
hatte sich verändert. Unvorstellbar, dass dieser Mann Lachen und Zärtlichkeit zeigen konnte. Sein Gesicht wirkte mit der straff über Wangenknochen und Kinn gespannten Haut völlig fremd. Das goldene Haar, nun wieder im Nacken mit dem schwarzen Band zusammengefasst, gab sein Antlitz frei und ließ es unter der hellen Sonne hart erscheinen. In diesem Mann war keine Sanftheit, kein Lachen.
»Nun, sicher wirst du oder seine Gemahlin in seiner Abwesenheit seine Verpflichtungen übernehmen.« Anthony führte den Humpen an seine Lippen.
Sein Ton war so beleidigend, dass Olivia ihm den Inhalt ihres eigenen Humpens am liebsten ins spöttische Gesicht geschüttet hätte. Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Entschuldige mich.« Damit verließ sie das Achterdeck, hocherhobenen Hauptes und zornrot.
Anthony blickte über die Reling zur Insel, die ständig näher rückte. Er glaubte, die gefährlichen Felstürme der Needles am westlichsten Punkt auszumachen. Schon kamen die Untiefen um St. Catherine's Point in Sicht, doch an einem strahlenden Sommertag wie diesem drohte von den Felsen keine Gefahr.
Er hatte mit dem Anstifter, der hinter den Wrackräubern steckte und alles geplant hatte, eine Verabredung im Anchor. Gemächlich nahm er einen Schluck. War es wirklich ein kluger Kopf oder nur ein böser, habgieriger Mensch, der bis jetzt Glück gehabt hatte?
Ein zynisches Lächeln legte sich um seine Lippen. War der Mann ein habgieriger Narr, dann war er leicht zu übertölpeln. Ein scharfer Verstand hingegen … das war etwas anderes.
Olivia interessierte ihn nicht mehr. Sie hatte ihn im Stich gelassen. Oder umgekehrt. Es spielte keine Rolle mehr. Auch noch so angenehme Episoden durften keinen Einfluss auf Entscheidungen haben.
»Das Kleid ist fertig, wenn auch sicher nicht in gewohnter Perfektion.« Adam unterbrach die Grübelei seines Herrn und hielt Olivias Gewand in die Höhe. Er schüttelte sein Werk geringschätzig, da er es für unbefriedigend erachtete. »Aber mehr ließ sich damit nicht machen.«
»Sicher wird Lady Olivia sich angemessen dankbar zeigen«, sagte Anthony geistesabwesend.
»Ach, so ist das also.« Adam betrachtete Anthony mit wissendem Blick. »Was ist passiert? Ich dachte, mit der Dame sei alles eitel Wonne.«
»Bring ihr die Sachen, Adam.«
Der Befehl verriet eine Lustlosigkeit, die Adam kannte und ungern hörte. Er zögerte. »Was ist?!«
»Ich wünschte, ich wüsste es.« Anthony starrte zur Insel. Dann zog er die Schultern hoch. »Was macht das schon aus? Ich dachte … aber ich irrte mich.« Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Es gibt immer ein erstes Mal, so ist es doch, Adam?«
»Wenn du es sagst.«
»Ich dachte,
du
hättest es gesagt«, spuckte Anthony hitzig, doch sprach er zur leeren Luft, da Adam bereits die Leiter zum Hauptdeck hinunterstieg.
Olivia stand vor dem Kartentisch. Sie rätselte über den Notizen, die Anthony auf die Karten geschrieben hatte, und versuchte, klug aus ihnen zu werden. Sie bezogen sich auf den Sextanten und den Kompass, so viel wusste sie immerhin. Auf der Karte sah sie die Insel sowie andere Landmassen, die sie nicht kannte. Das durch verschiedene Blauschattierungen gekennzeichnete Wasser war mit Ziffern markiert. Sie verlor sich in Grübelei. Es war sicher, nüchtern und betäubend. Als sich die Tür öffnete, war sie so in Gedanken versunken, dass sie es nicht sofort bemerkte.
»Eure Sachen habe ich so geflickt, dass sie zumindest tragbar sind.«
Olivia drehte sich um und sagte mit aller Wärme, die ihr zu Gebote stand: »Sicher ist alles einwandfrei, Adam.«
»Hm, ich bezweifle, ob Ihr das auch noch sagt, wenn Ihr sie gesehen habt.« Er legte das Kleid und die Unterröcke aufs Bett.
Olivia ging hin und begutachtete sie.
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