Die Braut des Piraten
Billy fiel auf, dass die Pfosten die Form von Löwenköpfen hatten. Das gesamte Farmhaus seiner Familie hätte in diesen einen Raum gepasst, und doch deutete nichts darauf hin, dass dieses Zimmer, wenn man es so nennen konnte, einem praktischen Zweck diente. Es war verschwendeter Raum. Das bedeutet also Reichtum, dachte er mit neiderfüllter Missbilligung.
Er erhaschte den Adlerblick des schwarz gekleideten Mannes, der die Tür geöffnet hatte. Glaubte der Mann, er hielte Ausschau nach Diebesgut? Billy legte den Daumen an die Nase und grinste den Mann an, der wie vom Donner gerührt dreinsah.
»Das reicht, Billy!« Mike drehte sich abrupt um. Er hatte das Mienenspiel zwar nicht mitbekommen, doch kannte er seinen kleinen Bruder. »Wir gehen, Miss.« Er bedachte Olivia mit einem Nicken, tippte an die Mütze, als er Phoebe ansah, und beeilte sich hinauszukommen, wobei er Billy vor sich herscheuchte.
Phoebe wandte sich an Olivia. Momentan überwog Besorgnis ihre Neugierde. »Du siehst mitgenommen aus«, stellte sie fest.
»Das ist kein Wunder.« Olivia lächelte matt.
Phoebe wies den Butler an: »Bisset, bittet Eure Frau, sie möge Würzmilch mit Weißwein zubereiten und sie in Lady Olivias Schlafgemach bringen lassen. Und dann soll jemand Sergeant Crampton suchen. Er soll wissen, dass Lady Olivia wohlbehalten zurückgekehrt ist.«
Bisset beschränkte sich auf eine Verbeugung und strebte der Küchenregion zu, wobei sein Schritt ausnahmsweise weniger gemessen war als sonst, da er es kaum erwarten konnte, Mistress Bissets Meinung zu dieser außergewöhnlichen Sache zu hören. Lady Olivia hatte wie eine Vogelscheuche ausgesehen, halb nackt, wie es dem schockierten Butler vorgekommen war. Doch trotz ihres müden Blicks schien sie keine bösen Folgen davongetragen zu haben – was immer ihr zugestoßen war.
Als Bisset außer Sichtweite war, nahm Phoebe Olivias Hand und zerrte sie förmlich ins Obergeschoss.
In Olivias Schlafgemach schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen, wobei sie ihre Freundin gespannt anschaute. »Um Himmels willen, Olivia, erzähl schon, was passiert ist.«
Olivia setzte sich aufs Bett und betrachtete mit einer gewissen Verwunderung ihre bloßen Beine und strumpflosen Füße. In der Aufregung der Rückkehr hatte sie vergessen, wie abgerissen sie in dieser Umgebung wirken musste. »Ich war verletzt. Ich stürzte vom K-Klippenrand und wusste eine ganze Weile nicht, wer ich bin, da ich eine Kopfverletzung hatte.« Sie berührte ihren Hinterkopf, wo sie noch immer eine empfindliche Stelle spürte. »Mikes Vater fand mich und brachte mich in sein Haus. Seine Frau pflegte mich, bis meine Erinnerung wieder einsetzte …«
»Warum kann ich dir nicht glauben?«, fragte Phoebe misstrauisch.
Olivia seufzte. »Weil es nicht die Wahrheit ist.« Sie begegnete dem entrüsteten Blick ihrer Freundin mit einem reumütigen Lächeln.
»Ich probierte die Geschichte bei dir aus«, fuhr Olivia fort. »Sie muss für meinen Vater und Giles glaubhaft sein. Du musst mir helfen, die Einzelheiten zu vervollkommnen.«
»Warst du verletzt?« Zuerst das Wichtigste, dachte Phoebe.
»Ja, das mit dem Sturz und der Bewusstlosigkeit stimmt. Nur wusste ich immer, wer ich bin, aber nicht, was passierte. Es war der Trunk … der verwirrte mich …«
»Trunk? Etwa eine Droge? Hat dich jemand betäubt?« Entsetzt hielt Phoebe die Hände vor den Mund.
»Es war eine Arznei«, sagte Olivia zögernd. »Aber sie verwirrte meine Gedanken, und die meiste Zeit wusste ich nicht, ob ich schlief oder wach war. Als er aber entschied, dass ich den Trunk nicht mehr brauchte, flößte er ihn mir auch nicht mehr ein.«
»Er? Wer?«
Phoebe wedelte frustriert mit den Armen. »Olivia, würdest du bitte von Anfang an berichten, ehe ich verrückt werde?« Sie stieß sich von der Tür ab und trat ans Bett. Dort blieb sie stehen und blickte auf Olivia hinunter, von ähnlicher Angst erfüllt, wie während der schrecklichen Tage von Olivias Verschwinden. Es war etwas Schlimmes passiert. Sie hatte das Gefühl, von der Olivia, die sie gekannt hatte, wäre nur deren körperliche Erscheinung zurückgekehrt. Der Geist, die Person, war auf undefinierbare Weise verändert.
»Was ist dir zugestoßen?« Es war ein angsterfülltes Flüstern.
Olivia blickte auf. »Ich bin mir selbst nicht ganz sicher. Ich fühle mich wie ein Wechselbalg.«
»Du machst auch den Eindruck eines solchen«, erwiderte Phoebe. »Und du antwortest mir nicht.«
»Glaubst du an
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