Die Braut des Piraten
Banalität in einer »anständigen« Ehe.
Als Olivia schließlich die Augen schloss, war sie verblüfft, dass sie Tränen zwischen ihren Lidern spürte. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie lautlos weinte, als sie sich einredete, sich mit einer Wirklichkeit abfinden zu können, in der diese Leidenschaft nicht existieren durfte. Lord Granvilles Tochter und Anthony Caxton konnten einander in der realen Welt nicht angehören. Ihnen blieb nur der Traum, den sie miteinander gesponnen hatten.
Es war kurz vor Tagesanbruch, als sie erwachte … allein. Sie setzte sich im grauen Licht auf und wickelte die Decke fester um sich. So früh am Morgen war die Luft noch sehr frisch. Im Osten färbte die noch unsichtbare Sonne den Horizont mit einem roten Streifen. Dieser wurde langsam breiter, und der Himmel erglühte in Rot und Orange, während sich der riesige Sonnenball, auch in der engen Bucht für sie sichtbar, über den Horizont schob, rasch höher stieg, bis er ganz aufgegangen war und sein glühendes Licht auf die glatte Wasserfläche warf.
»Schön, nicht wahr?«
Sie drehte sich um, als sie hinter sich Anthonys Stimme hörte. Er war nun angekleidet und hielt zwei Haken in der Hand, an denen Fische baumelten. »Frühstück«, sagte er und bückte sich, um sie zu küssen.
»Ich muss mal…«
»Hinter dir sind Felsblöcke und vor dir das Meer«, griente er und warf die Fische in den Sand, ehe er sich hinhockte und das Feuer mit Hilfe der Glutreste neu anfachte.
Olivia stand auf und ließ die Decke fallen. Sie streckte sich ausgiebig und beobachtete seine geschickten, energischen Hände bei der Arbeit. Das Feuer flammte auf, er nahm die Fische und trug sie ans Wasser, um sie zu säubern.
Olivia sah ihm eine Weile zu, dann fiel ihr ihre Notdurft wieder ein, und sie suchte die Abgeschiedenheit eines Felsvorspurngs auf. Als sie wieder zurückkam, brieten die Fische bereits auf flachen Steinen über dem Feuer.
Sie zog sich an und stellte fest, dass es ein sonderbares Gefühl war.
»Falls du Durst hast… in der anderen Flasche ist Trinkwasser.« Anthony deutete auf den Korb.
Olivia trank tief das frische Süßwasser. Es schmeckte wundervoll. Hier auf diesem winzigen Strandstück unter dem rosigen Morgenhimmel schienen alle Sinne schärfer, jede Erfahrung um vieles intensiver.
»Sobald wir wieder auf dem Schiff sind, wird Mike dich nach Hause bringen«, sagte Anthony und griff nach der Wasserflasche, die sie ihm entgegenhielt.
Olivia blickte über seine Schulter hinweg aufs Meer. Es war nicht nötig, dass sie jetzt schon aus dem Traum erwachten. Ihr Vater würde erst in einigen Tagen zurückkommen. Phoebe und Portia würden sich für das Personal eine befriedigend Erklärung ausdenken, warum Olivia sich hinter den Bettvorhängen verbarg. Es wäre jammerschade, diese geschenkte Zeit nicht zu nutzen.
»Heute muss ich noch nicht zurück.«
Anthony setzte verdutzt die Flasche ab. »Und den Vater?«
»Er ist nicht da. Er wird einige Tage ausbleiben.«
»Und seine Frau?«
»Ich brauche nur eine Nachricht zu schicken, damit sie und Portia sich nicht sorgen, wenn ich länger als geplant ausbleibe.«
Anthony gab zunächst keine Antwort. »Was wissen sie?«
»Sie wissen, dass ich mit dem Piraten, der mich entführte, Schach spiele«, sagte sie mit einem amüsierten Auflachen. »Phoebe billigt nicht, dass ich Schach oder etwas anderes mit einem so zwielichtigen Charakter spiele. Portia hat mehr Verständnis, da sie alles über Leidenschaft zu zwielichtigen Fremdlingen weiß.«
Anthony setze erneut die Wasserflasche an.
War das alles, was Olivia ihren engsten Freundinnen und Vertrauten gesagt hatte? Den Frauen seiner Feinde? Hatte sie nichts von Edward Caxton gesagt?
Er reichte ihr die Wasserflasche. »Mit der Morgenflut läuft die
Wind Dancer
nach Portsmouth aus. Morgen Abend könnten wir wieder zurück sein.« Er wendete den Fisch auf dem Stein.
»Bin ich eingeladen?« Sie hatte das Gefühl, dass er plötzlich voller Anspannung war.
Er schaute mit einem so verheißungsvollen Lächeln auf, dass das Gefühl von Anspannung schwand. »Mike wird deinen Freundinnen zuverlässig eine Nachricht bringen.«
»Was führt dich nach Portsmouth?«
»Ein kleines Geschäft.«
Olivia kniete sich in den Sand und schnupperte hungrig. »Was für ein Geschäft?«
»Ich muss Waren verkaufen.« Er reichte Olivia einen der zwei Fische.
Sie riss ihn gierig auseinander und aß. Noch nie hatte ihr Fisch so köstlich geschmeckt. Ein Pirat
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