Die Braut des Piraten
Schiff festmachten, blickte Anthony erst die Strickleiter hoch, dann sah er Olivia abschätzend an. »Nein, das Risiko geh ich nicht ein.«
»Welches Risiko?« Ein kleiner Schluckauf entkam ihr.
»Egal. Komm.« Als er sie auf die Beine zog, geriet das kleine Boot bedrohlich ins Schwanken. Da machte er kurzen Prozess, bückte sich und warf sie schwungvoll über die Schulter, wobei er sie in den Kniekehlen fest hielt.
Olivias Blick ruhte auf seinen Schulterblättern unter der grauen Seide. Sie hätte sie gern geküsst, erreichte sie aber leider nicht. Da gab sie den Versuch auf und spähte stattdessen verträumt durch den schwarzen Vorhang ihrer Haare auf das dunkelgrüne Wasser, das gegen den weißen Rumpf der Fregatte leckte. Hände griffen über die Reling, um sie zu übernehmen und aufs Deck zu heben. Anthony sprang neben ihr auf die Planken und schaute lachend auf sie hinunter.
»Leider wirst du am Morgen nicht sehr glücklich sein«, prophezeite er und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Jetzt aber bin ich sehr glücklich«, versicherte Olivia ihm.
»Ja, meine Blume, das sehe ich.«
Eine kleine Welle der Erheiterung durchlief das Deck, und Olivia lächelte diese freundlichen Männer, deren Gesichter ihr nun so vertraut waren, sonnig an.
»Schaffst du es bis zur Kabine? Oder soll ich dich tragen?«
»Ach, du k-könntest mich tragen«, erlaubte sie großzügig und ließ wieder einen kleinen Schluckauf hören. »Merkwürdig, aber meine Beine scheinen mir nicht mehr zu gehorchen.«
»Na, dann los.« Er hob sie erneut auf seine Schulter und kletterte mit seiner Beute zur Kabine hinunter.
Sie schwankte auf dem Boden, als er sie abstellte und lächelte ihn entzückt an. »Du wirst mich ausziehen müssen. Auch meine Hände scheinen nicht mehr mir zu gehören.«
»Na, das ist mir ein Vergnügen.«
Olivia betrachtete ihre geborgten Sachen mit fragender Miene, als sie von ihrem Körper glitten. »Stammen die Sachen von der
Dona Elena?
Sehr spanisch sehen die nicht aus.«
»Nein, sie stammen von einem Wrack«, sagte er und zog ihr das Hemd über den Kopf.
Pirat. Schmuggler. Wrackräuber.
Sie glaubte seine Stimme zu hören, die sagte, wie leicht ein Schiff bei St. Catherine's Point auf Felsen auflaufen konnte. So wie das Wrack, das in der Nacht, ehe sie ins Leere stürzte, in sein Verhängnis gelockt worden war.
Am Morgen danach war sie in der Nähe des Point zu Füßen eines Wachpostens der
Wind Dancer
gelandet. Nichts leichter, als das Schiff auf die Felsen zu lotsen und dann die Beute in die Schutz bietende Klippenschlucht zu schleppen. Nichts leichter.
Piraterei, Schmuggelei. Ungesetzliche Aktivitäten. Schmutzige und gefährliche Geschäfte, die auch Menschenleben kosteten. Sie wusste auch, dass Wrackraub nur nebenbei betrieben wurde. Das war auf der Insel allgemein bekannt, für sie aber war es unfassbar. Nicht bei Anthony. Anthony konnte nicht…
Ihr wurde übel. Eine große unbeherrschbare Woge der Übelkeit erfasste sie. Sie stürzte an ihm vorbei blindlings auf den Waschtisch zu.
Anthony hielt ihren Kopf, als sie sich elend übergab, doch wehrte sie ihn so verzweifelt ab, dass er davon abließ. Er konnte sich zu gut an das Elend seines eigenen ersten großen Rausches erinnern und wollte ihr die Sache nicht erschweren.
Er ging an Deck, in Gedanken bei der morgigen Auktion. Bei Morgengrauen würden sie herbeieilen, Händler und Ladenbesitzer, Kneipenwirte und private Käufer. Sie würden in kleinen Booten kommen, um seine Waren zu begutachten, und sie würden viel dafür bieten. Er würde seine Besatzung auszahlen sowie Renten und Belohnungen an die Männer, die für ihn tätig waren, Männer, die seine Freunde waren. Und er würde auf die Seite tun, was er brauchte, um leben zu können, wie es ihm beliebte. Der Rest ging an Ellen, um nach ihrem und dem Gutdünken ihres Pfarrers an die königstreuen Aufständischen verteilt zu werden.
Und in der nächsten Neumondnacht würde die
Wind Dancer
den König von England nach Frankreich bringen.
Anthony gähnte, streckte sich und ging hinunter. Olivia lag zusammengerollt in der entferntesten Ecke des Bettes. Er zog sich bei schwachem Kerzenschein aus und schlüpfte neben sie. Als er sie in die Arme nehmen wollte, schien sie von einer unsichtbaren Dornenhecke umgeben. In der Annahme, sie wolle in ihrem Elend allein gelassen werden, wandte er sich von ihr ab, konnte aber erst einschlafen, als er sanft seinen Rücken an sie schmiegte.
Kapitel
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