Die Braut des Satyrs
Sibela wieder zu kreischen begann. »Aber ihr habt beide einen Anspruch.«
»Soll ich sie alle beide heiraten?«, fragte Lyon empört.
»Du weißt, dass du nicht beiden den Schutz deines Willens geben kannst. Den kannst du nur derjenigen angedeihen lassen, die den stärkeren Anspruch hat.«
»Ich lasse nicht zu, dass du meine Schwester meinetwegen im Stich lässt«, beharrte Juliette. »Wenn du irgendeine Frau heiraten willst, dann heirate sie!«
»Na dann! Wir haben ihren Segen!« Sibela streckte beide Hände aus, als wäre die Angelegenheit erledigt.
»Sie ist nicht deine Schwester«, widersprach Lyon Juliette, ohne Sibela zu beachten. »Sie ist ein Parasit und hat den Körper deiner Schwester für ihre Zwecke benutzt.«
»Er hat recht, so ungern ich es zugebe. Ich gebe dir deine Schwester nicht zurück, falls du dir das erhoffst«, gestand Sibela. »Ohne sie bin ich nichts, und das kann ich nicht zulassen.«
Lyon warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Was hast du mit deinem verschlagenen Plan beabsichtigt? Offensichtlich war es nicht unser gemeinsames Kind.«
Sie winkte ab. »Mir liegt nichts an ihm. Aber es gibt mir sozusagen eine Verankerung in dieser Welt. Was ich von dir will, ist Schutz. Dieser Körper, den ich bewohne, ist in Gefahr, und daran bin ich nicht schuld. Ich fürchte, dass die Anderwelt mich über kurz oder lang schnappt, wenn ich allein auf mich gestellt bin. In ihren Klauen bin ich machtlos. Eher würde ich diesen Körper töten, als das zuzulassen.«
Juliette rang nach Luft. »Wag es ja nicht!«
»Vielleicht können wir etwas weniger Dramatisches arrangieren«, überlegte Nicholas.
»Du weißt, dass ich einiges auf mich nahm, um dich in jener Nacht zu entlasten«, erinnerte Sibela Lyon.
Er zog eine Braue hoch. »Dennoch ist Juliette meine Wahl und diejenige, die ich heiraten werde.«
»Nein, Lyon!«, murmelte Juliette.
»Ich weiß, dass du Gefühle für mich hegst.«
»
Oui.
Das tue ich.«
Grübchen zeigten sich auf seinen Wangen, und auf einmal funkelten seine Augen amüsiert. »Ich habe gehofft, dass du das vor einem Geistlichen sagst.«
»Ich bin dir mit Leib und Seele vermählt. Belassen wir es dabei«, schlug sie vor. »Zeremonien, um dergleichen zu besiegeln, sind überflüssig, nicht wahr?«
Lyon schüttelte schon den Kopf. »Dein Schutz erfordert diese offiziellen Zeremonien.«
Verzweifelt sprang sie auf und schrie: »Ich werde dich nicht heiraten!«
»Warum zur Hölle nicht?«, schrie er zurück, worauf seine Tochter zu weinen begann.
»Weil!« Sie blickte sich panisch um, ehe sie wieder Lyon ansah. »Weil ich schon verheiratet bin!«
Alle starrten sie entgeistert an.
»Mit wem?«, wollte Lyon wissen.
»Mit Monsieur Valmont in Paris!« Was sie da aussprach, schien sie selbst nicht minder zu schockieren als die anderen, denn sie wich ängstlich zur Tür zurück, als fürchtete sie, bestraft zu werden. »Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis, das ich niemandem verraten darf. Ich wollte ihn überhaupt nicht heiraten, aber an dem Tag, als Elise ermordet wurde, gab er mir Opium, und später behauptete er, er hätte gesehen, wie ich sie umbrachte. Ich war viel zu betäubt, um zu wissen, was ich getan hatte.«
Nicholas nahm Lyon das schreiende Baby ab und sah stumm zu, wie sein Bruder die vehement protestierende Juliette in seine Arme hob. Lyons Blick wanderte von seiner Tochter zu Nicholas’ Gesicht, und sein Bruder bedeutete ihm schweigend, dass er sich um das Kind kümmerte, bis er zurück war.
Dann brachte Lyon Juliette aus dem Salon und überließ es Nicholas, auf die anderen drei aufzupassen. Da die Couch besetzt war, ging er zu Lyons neuem Schreibtisch. Wie Jane ihm erzählte, hatte Juliette Stunden gebraucht, bis sie sich zum Kauf dieses Möbels für seinen Bruder entschied. Der Ledersessel dahinter erwies sich als passable Sitzgelegenheit, und Nicholas lehnte sich halb darauf zurück, die Füße auf dem Schreibtisch und das Kind auf seiner Brust. Er hielt es mit einem Arm unter den Beinen fest und rieb ihm mit der anderen Hand den Rücken, bis es sich beruhigt hatte und einschlief.
Seine Augen wanderten zu den schlafenden Frauen auf dem Sofa und verharrten bei Jane. Dann jedoch fiel sein Blick auf den Schreibtisch, wo er einen Brief bemerkte, dessen Siegel noch ungebrochen war. Sein Interesse war geweckt, sowie er erkannte, dass er von Monsieur Valmont in Paris stammte, ursprünglich an Lyons Hotel geschickt und von dort aus hierher weitergeleitet
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