Die Braut des Satyrs
hättest«, mischte Nicholas sich ein. »Das fühle ich. Wie kommt es?« Die letzte Frage richtete sich an Lyon.
»Was soll das heißen?« Sibela richtete sich entsetzt auf. »Welcher Anspruch könnte größer als der einer Frau sein, die einem Mann Nachkommen schenkt?«
»Dennoch hat Nick recht. Ich fühle mich nach wie vor Juliette verbunden«, erwiderte Lyon.
»Aber warum, wenn Sibela diejenige ist, mit der du dich zweifellos in einer Vollmondnacht gepaart hast?«, bohrte Nicholas.
Lyon sah finster zu Sibela. »Und wie genau hat das stattgefunden?«
Grinsend betrachtete sie ihre krallenartigen Fingernägel. »Entsinnst du dich denn nicht, mein Liebling? In jener Nacht in deinem Hotel warst du recht leidenschaftlich, wenn auch ein kleines bisschen lethargisch.«
»Du hast dich mit mir gepaart, während ich schlief?« Alle starrten sie schockiert an.
Was Sibela nichts ausmachte. »Du wärst gestorben, hätte ich es nicht getan. Wenn du schon irgendjemandem böse sein willst, sollte es Juliette sein.
Ich
rettete dir das Leben.«
»Sie hat nicht ganz unrecht«, stimmte Juliette zu.
»Du wusstest, dass sie hier ist?«, fragte Lyon fassungslos. »Und hast mich ihr willentlich letzte Nacht überlassen?«
»Sie ist meine Schwester und trug dein Kind«, entgegnete sie flehend. »Du hast mir erzählt, wie deine Kinder geboren werden müssen, also ließ ich sie zu dir gehen. Mir schien es unter diesen Umständen das Beste, mich vor dir zu verstecken, bis alles Nötige … getan war.«
»So einfach hast du mich einer anderen überlassen?« Lyon schüttelte den Kopf, denn ihn wunderte, wie sehr es ihn verletzte.
»Elise hat den größeren Anspruch auf dich«, beharrte Juliette. »Und ich schulde ihr etwas. Wegen meiner Dummheit wurde sie beinahe umgebracht und war drei Jahre lang verschwunden.«
»Wartet mal!« Nicholas hob beide Hände. »Wer zur Hölle ist Elise?«
Juliette gestikulierte irritiert zum Sofa, wo Sibela saß. »Meine Schwester.«
»Dann gibt es noch eine Fünfte?« Lyon war entsetzt.
»Sie ist tot«, offenbarte Sibela gleichzeitig, »oder so gut wie.«
Als sie Sibelas Augen sah, wurde Juliette misstrauisch. »Aber du hast gesagt …«
»Ich habe möglicherweise ein oder zwei Kleinigkeiten ausgelassen, als wir uns zuletzt sprachen«, gestand Sibela gelassen. »Genau genommen bin ich nicht deine Schwester, sondern lediglich die Hüterin ihres Körpers. Ursprünglich stamme ich aus dem Meer, aber ich hatte meine eigene Hülle vor langer Zeit verloren und musste mir anderweitig behelfen. An dem Tag, als du und sie von den Bluthunden in Burgund gejagt wurdet, kam ich zufällig vorbei. Mein Wirt alterte, so dass ich nach einem neuen suchte. Dann war da deine Schwester, verwundet und sterbend, also nahm ich mir ihren Körper für meine Zwecke und bewahrte sie vor einem solch üblen Schicksal. Eine Beziehung zu beiderseitigem Nutzen, könnte man sagen.«
»Welch eigenwillige Interpretation von Lebensrettung!«, murmelte Nicholas.
Juliettes Stimme zitterte, als sie zu Sibela sah und fragte: »Ist noch irgendetwas von ihr in dir?«
»Sie ist hier, bloß unterdrückt, würde ich sagen«, antwortete Sibela achselzuckend.
Als er sah, dass seine Tochter gestillt war und Sibela offenbar nicht wusste, was sie als Nächstes tun sollte, nahm Lyon ihr das Neugeborene ab und wiegte es in seinen Armen.
Lyon so mit seiner winzigen Tochter zu sehen, ließ Juliette eindeutig nicht unberührt, was wiederum Jane bemerkte, die ihr liebevoll die Schulter tätschelte. »Erzähl mir von unserer Schwester!« In diesem Augenblick schien Juliette zu begreifen, dass all dies nicht nur sie betraf. Zwar hatte sie kürzlich eine Schwester verloren, aber sie hatte auch eine andere gewonnen.
»Ich begegnete unserer Schwester Elise in dem Sommer, als wir beide sechzehn waren«, begann sie. »Ich lebte bei einer Pflegefamilie in Burgund. Sie sprach ungern über ihre Vergangenheit, also weiß ich kaum etwas darüber. Aber wir wurden Freundinnen, und sie lehrte mich viel … Überirdisches.«
»Wie man sich verwandelt«, riet Lyon, der sich hin und her wiegte, um seine Tochter sanft in den Schlaf zu schaukeln.
Juliette nickte. »Wir mussten es geheim halten, weil meine Pflegemutter abergläubisch war und jede Zauberei verurteilte. Also schlenderten wir in der freien Natur herum, wo wir unsere Gaben ausprobierten. Ich lernte, mich auf etwas so sehr zu konzentrieren, dass ich zu dem Objekt wurde. Das ging nicht bei allem,
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